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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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annullierte, wurde Leo persönlich von zwei Mitarbeitern des Ministeriums zugestellt. Ich war keinen Besuch wert – meine Entlassungspapiere lagen im Postfach des Seminars. Ich musste bis zum Dreiundzwanzigsten verschwinden, zwei Tage nach Leo.
    Leo glaubte, die zahlreichen mächtigen Leute einschalten zu können, die ihm verpflichtet waren. Doch er hatte sich verrechnet. Seine Anrufe wurden nicht erwidert, und zu den paar Treffen, die er vereinbaren konnte, erschien niemand. Nur Manea bot ihm in einem kurzen Schreiben einen Termin am achtundzwanzigsten Dezember an, die »früheste Lücke« in seinem Terminplan. Aber Manea wusste genau, dass Leo am einundzwanzigsten ausgewiesen werden würde.
    Am neunzehnten Dezember stürmten Demonstranten in Timișoara die Parteizentrale und steckten alles in Brand: Porträts der Ceaușescus, Bücher und Bilder, sogar das Mobiliar. Die Polizei sah untätig zu. Vielleicht war dieser Moment des Zauderns und Zögerns der Anfang vom Ende des Regimes.
    Das erste Symbol der Revolution wurde auf dem Balkon der Parteizentrale in Timișoara gehisst: die rumänische Flagge, aus der man die kommunistischen Insignien und das PCR-Emblem geschnitten hatte. Die Menschen drängten sich, um sie zu berühren, sie trugen die neue Nationalflagge bei sich.
    Zwischen der Calea Victoriei und dem Sitz des Zentralkomitees wurde die Präsenz der Securitate massiv aufgestockt. Alle zehn Meter stand ein junger Mann im Anzug und mit unverhohlen zur Schau getragener Waffe, rauchte und lauerte, prüfte Papiere, hielt Autos an, stellte jeden zur Rede, der länger als ein paar Sekunden auf der Straße stand und schwatzte. »Zwei Personen sind ein Menschenauflauf«, hieß es. Manchmal reichte schon eine Person: Ein Bauarbeiter brüllte auf einem Gerüst an der Piaţa Unirii eine halbe Stunde »Timișoara! Timișoara! Timișoara!« in ein Megaphon, bevor man ihn herunterholen konnte. Auf dem Rasen vor dem Atheneum hatte man den Schriftzug »Nieder mit Ceaușescu« mit Spritzmittel ins Gras geschrieben. »Tod dem Blutsauger und seiner Hure« stand in roten Lettern auf der Wand des Parteimuseums.
    Als man schließlich hart durchgriff, war es ein leichtes, die sozialen Kontakte abzuwürgen: Man musste nur die Versorgung der Cafés und Restaurants mit Lebensmitteln und Getränken stoppen. Sogar der Ersatzkaffee ging aus. Nur die Dollar-Bars und internationalen Hotels blieben offen, aber selbst dort waren Agenten in Zivil in der Überzahl. Das Capsia hatte natürlich auch noch geöffnet, denn dort mussten Diplomaten und Parteibonzen gefüttert werden. Außerdem schwelgte Leo dort eine letzte Woche in Dekadenz, feierte vor einem Hintergrund von Lebensgefahr und politischer Surrealität eine Art Wikinger-Gelage.
    Am zwanzigsten Dezember wurden Ottilia und ich von einem rumpelnden Getöse geweckt, das die Glasablagen im Bad klirren ließ. Ich sah auf den Wecker: vier Uhr früh. Unten döste der Polizist im Stehen. Etwas weiter weg standen zwei weitere Beamte und rauchten. Sie schienen nicht zu merken, dass ich das Haus verließ. Das Getöse wurde immer lauter, ein gleichmäßiges, mechanisches Dröhnen, das die Erde erbeben ließ, und als ich die Ecke Aleea Alexandru und Aviatorilor erreicht hatte, sah ich sie: Dutzende gepanzerter Fahrzeuge ohne Licht, die in Richtung Stadtzentrum fuhren, Truppentransporter und Panzer. Diese hatte ich immer für langsam und schwer gehalten, aber sie waren überraschend schnell, und ihre Unzerstörbarkeit und Beweglichkeit jagten mir Angst ein.
    Leo kehrte bei Tagesanbruch heim. »Sie entsenden Truppen nach Timișoara.« Er war stocknüchtern, obwohl er nach Rauch und Alkohol stank. »Die Armee ist in Alarmbereitschaft. Da bahnt sich was Großes an. Elena Ceaușescu kümmert sich höchstpersönlich um die Sicherheitslage.«
    »Hier rollen auch Truppen an. Ich habe sie gesehen: Panzer und Mannschaftswagen.«
    »Das wundert mich nicht – wenn es darum geht, auf die eigenen Leute zu schießen, holt man immer Truppen von außerhalb. Ich wette, dass man Einheiten aus Timișoara nach Bukarest verlegt und umgekehrt.«
    »Was kannst du mit Gewissheit sagen, Leo?«, fragte Ottilia. Sie hatte die Nase voll von Spekulationen. Manche Leute waren gierig auf Gerüchte, fanden sie faszinierender als die Realität dahinter. Aber Ottilia hatte genug davon. »Sie verzerren die Reaktionsmöglichkeiten – man wendet so viel Zeit und Kraft auf, um auf das Gerücht zu reagieren, dass man nicht mehr genug

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