Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
entweder viel zu gut oder gar nicht, denn er bewegte den Kopf so ruckartig hin und her und auf und ab wie ein Spatz, fummelte an dem Gerät herum oder zog es aus dem Ohr und starrte es an.
Hinter den Ceaușescus sah ich viele bekannte Gesichter: Palin, der Handelsminister und Leos bester Kunde; der stellvertretende Außenminister; der Minister für Kulte sowie einige andere Beamte des Ober- und Mittelbaus. In der Mitte der dritten Reihe saß Manea Constantin in einem eleganten, auffallend gut sitzenden Anzug.
Sie ließen alles gehorsam über sich ergehen, strahlten die unsichtbaren Wellen der Langeweile aus, saßen während stundenlanger Reden reglos da, spendeten stehend Applaus, bis sie Schwielen an den Händen hatten. Traktoren, Fünfjahrespläne, wundersam reiche Ernten, nur dass es keine Wunder gab, sondern nur sozialistisch-wissenschaftliche Planungen mit sozialistisch-wissenschaftlichen Resultaten. Die zentrale Rede des zweiten Tages, »Die Ära des Lichts vor ihrer Vollendung«, gehalten vom Kultusminister, sprach davon, dass unter Ceaușescu jeder individuelle Aspekt der Politik zu seiner besten und höchsten Entfaltung geführt worden sei. Den Nachmittag beschloss ein götzendienerhafter, zwanzig Minuten langer Applaus, den Ceaușescu mit dickfelliger Pseudobescheidenheit abtat.
»Kneif mich«, sagte Leo, der immer noch den Pyjama trug, obwohl der Nachmittag schon angebrochen war. Eigentlich sollte er meine Wohnung heute verlassen und für sich selbst sorgen, aber er machte keine Anstalten, zu verschwinden. »Kneif mich, damit ich weiß, dass es kein Traum ist! Ich lebe im Paradies! Ich lebe in einem beschissenen Paradies!«
Im Schlafzimmer, aus dem er uns vertrieben hatte, hörte ich ihn erst pfeifen, dann ächzend furzen. Er kam tatendurstig und geschäftsmännisch wieder zum Vorschein, verkatert und mit Blähungen, aber mit einem beschwingten Humpeln. »Ich zische ab, um ein Wort für den jungen Lenin einzulegen. Ich werde der holden Ottilia beweisen, dass ich nicht nachtragend bin …« Mit diesen Worten verschwand er in den Tag.
Ceaușescu wurde am vierten Tag einstimmig wiedergewählt. Einstimmig? Nicht ganz. Als ich in der Scînteia die Liste der Mitglieder des Zentralkomitees suchte, entdeckte ich einen kurzen Absatz mit den Namen eines guten Dutzends Delegierter, die aus diesen oder jenen Gründen nicht an der Wahl hatten teilnehmen können. Einer war während des Parteitags gestorben – er hatte während eines Beifallsmarathons einen stechenden Schmerz im linken Arm verspürt und auf der Rückfahrt nach Snagov in seinem Dacia das Zeitliche gesegnet. So wurde Miron Banalescu das erste Opfer des Parteitages, ein Märtyrer, wenn auch keiner aus den Reihen der Mutigen, sondern aus jenen der Mitläufer und Duckmäuser. Später, als die Revolution ihre Helden betrauerte und ihre Gegner verfolgte, fragte ich mich, ob es eine Kategorie für die Banalescus dieser Welt gab, die wie Staubflocken in den Zwischenräumen der Geschichte trieben: ein großes, graues Fegefeuer des Mittelmaßes, das, weil die meisten von uns darin endeten, zusammengenommen mehr als die Summe seiner Einzelteile war.
Die Namen der anderen Männer, die bei der Wahl verhindert gewesen waren, sagten mir nichts, aber einen kannte ich: Manea Constantin.
ACHT
Oleanu wurde nach einer Woche freigelassen. Wieder in der Universität, musste er feststellen, dass er das Schicksal jener teilte, die er bespitzelt hatte – er durfte nicht mehr studieren. Er kannte das Vorgehen, denn er hatte es oft genug selbst eingeleitet: Er gab den Universitätsausweis ab und räumte den Schrank, wirkte jedoch gefasst und zielstrebig. Was auch immer er im Gefängnis erlebt haben mochte, es hatte ihn nicht gebrochen, sondern verwandelt. Popea, der die Aufgabe hatte, ihn von der Universität zu verweisen, versuchte den Verband über Oleanus Auge, die geplatzte Lippe und die Art zu ignorieren, wie der junge Mann seine bei jedem Atemzug schmerzenden Rippen drückte. Doch die neu gewonnene Würde, die Oleanu ausstrahlte, konnte niemand übersehen: Obwohl er gekrümmt ging, weil seine Lunge wehtat, wirkte er größer, kräftiger und selbstgewisser.
Leo erwartete Oleanu im Škoda, der mit knatterndem Motor im morgendlichen Schnee stand. Auf dem Rücksitz saß ein alter Mann mit Hut, der sein Gesicht hinter einer französischen Zeitung verbarg.
Leo hielt Wort. Besser noch: Er stellte Oleanu Trofim vor, der ihn de facto zu seinem Assistenten ernannte. Im
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