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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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schimmernden Glatze auch dann zu, wenn es galt, sich von den Strapazen unangenehmer Tage zu erholen. So oder so – Ceaușescu genoss den Ruf, stets Lust auf Kojak zu haben.
    Ich habe Lust auf Kojak : Mit dieser Phrase leitete Leo immer den Vorschlag ein, abends auszugehen. Wenn wir uns später in einem Restaurant oder in einer Hotelbar trafen, breitete er die Arme weit aus und nuschelte: »Who loves ya baby?«, um gleich darauf, wie als ironische Hommage, selbst die Antwort zu geben: »Ya people and ya Party!«
    Leo lud mich zu einem der Höhepunkte seines Konterbande-Kalenders ein. Er veranstaltete zweimal im Jahr »Museums-Partys«, in deren Rahmen die Gäste zunächst die offizielle Sammlung eines Museums besichtigten und im Anschluss – und im geheimen – jene inoffizielle Sammlung, die Leo in den unterirdischen Archiven hortete. Seine Lieblingsorte waren der Sutu-Palast in der Bratianu und das Naturkundemuseum in der Kiseleff, deren Direktoren sowohl Kunden als auch Teilhaber waren. Diese Party sollte im Sutu-Palast stattfinden.
    Man verschickte Einladungen, gedruckt auf dem Briefpapier des Museums. Sie waren verschlüsselt: Man musste immer sechs Tage und sechs Stunden addieren; eine Einladung für Montag, fünfzehn Uhr, galt also für Sonntag, einundzwanzig Uhr. Die Fenster des Museums waren verdunkelt, Gaslampen und Kerzen erhellten die Säle. Kellner aus allen Ecken und Enden der Stadt materialisierten sich, wie in Bukarest üblich, standen plötzlich trocken neben einem, obwohl es draußen in Strömen goss, mit warmen Händen, obwohl der Frost klirrte, frisch und munter trotz Hitzewellen, kaputten Straßenbahnen, ausgefallenen Bussen. Der Zauberer, der sie aus den Schatten herbeirief, war der Maître aus dem Capsia, ein Mann, dessen Allgegenwart der Schwierigkeit hohnsprach, in dieser Stadt von einem Ort zum anderen zu gelangen. In meinen Augen traf er nicht ein und verschwand wieder, sondern wechselte die Orte, indem er sich wie ein Licht an- und ausknipste.
    Dann die Gäste: Sie kamen in Autos ohne Licht und füllten schweigend die Eingangshalle des Museums. Alle flüsterten; nicht weil eine Notwendigkeit dazu bestanden hätte, sondern weil es zu diesem Anlass passte – gedämpfte Aufregung, ein Hauch von Gefahr. Mäntel glitten von Schultern und wurden aufgehängt, Tabletts mit Weingläsern schwebten durch die Menge. Der Maître kassierte diskret den Eintritt, satte zehn Dollar für Apparatschiks und Schieber, ein paar hundert Lei für Künstler und Schriftsteller oder Leos Freunde, deren Taschen von Bargeld überquollen, für das man aber nichts kaufen konnte. Ein Streichquartett spielte leise, man reichte Kanapees herum, die Leute mischten sich, bewunderten die Sammlung, die in Gaslicht getauchten Ausstellungsobjekte.
    Diese Versammlungen bestanden aus zwei Gruppen. Da war zunächst einmal die alte Bourgeoisie; diskrete und gebildete Menschen mit feinen Manieren, die während des Übergangs zum Kommunismus alles verloren hatten – Haus beschlagnahmt, Ersparnisse verstaatlicht, Freundschaftskreise zerschlagen. Die meisten durften kein Parteimitglied werden und durchlitten ein Fegefeuer des déclassement , verdienten ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht als Hausmeister, Museumswärter oder Saaldiener im Theater, Arbeiten, die sie täglich mit dem konfrontierten, was sie verloren hatten: ihr Zuhause, ihre Vergangenheit, ihre Kultur. Ein paar hatten es geschafft, die Karriereleiter der Partei zu erklimmen, waren mächtige Angehörige der Nomenklatura, Minister oder Diplomaten – Ränge, die sie auch im ancien régime bekleidet hätten. Daneben gab es eine neue Spezies, die alles der Partei, vor allem aber Ceaușescu verdankte. Dieser zog Menschen vor, die ihm glichen: halbgebildet, ungehobelt und auf primitive Art verschlagen, felsenfest treu, aber durch und durch korrupt.
    Trofim, hinten im Saal vor einem gelben, expressionistischen Akt stehend, war von Giles Wintersmith, Wirtschaftsattaché der britischen Botschaft, in die Ecke gedrängt worden. Der gute Wintersmith futterte Erdnüsse und redete zugleich, wodurch der Inhalt seines Mundes jenem Abfall glich, der wöchentlich vom Maul der Müllwagen verschluckt wurde. Nach Jahren der Cocktailpartys hatten sich seine Hände zu affenartigen Pranken verformt, mit denen er Knabbergebäck in sich hineinschaufelte. Neben ihm stand Franklin Shrapnel, sein Äquivalent von der amerikanischen Botschaft, ein fetter Zivilist mit einer fetischhaften

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