Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
Vom Netzwerk:
Vorliebe für das Militär, die in seiner uniformartigen Tracht mit Reißverschlüssen, vielen Gürteln und Pistolentaschen zum Ausdruck kam. Shrapnel versuchte krampfhaft, einen Leibwächter des Präsidenten während eines gefährlichen Staatsbesuches zu mimen: Er zupfte an einem Ohr, um so zu tun, als wäre ein Hightech-Mikro darin versteckt, und sein Blick zuckte durch den Saal, als wollte er Extremisten enttarnen. Die Freundschaft dieser beiden Männer war eine Parodie der anglo-amerikanischen Beziehungen in Zeiten des Kalten Krieges: Shrapnel staunte über Wintersmiths phlegmatischen britischen Verstand, und Wintersmith verehrte Shrapnel als Mann der Tat.
    Wintersmith war versessen darauf, »Kontakte« zur Presse herzustellen, um an Informationen zu gelangen oder Gerüchte zu deuten. Er wollte von Trofim wissen, ob dieser von einer Dissidentenbewegung wisse, die sich die Unruhe im übrigen kommunistischen Europa zunutze machen könne. Obwohl ich noch nicht lange hier war, wusste ich, dass das der falsche Weg war. In einer Welt, in der es keine direkten Antworten gab, stellten nur Dummköpfe direkte Fragen.
    »Ein unerhört plumper Versuch«, hörte ich Trofim im besten Englisch erwidern, »und eines Diplomaten unwürdig, selbst wenn er in den Diensten Thatchers steht, Sir.« Sir … Trofim zischte dieses Wort mit beißender Verachtung. Wintersmith zuckte zurück. Shrapnel blies seine Brust auf und murmelte irgendeinen Supermacht-Macho-Spruch.
    »Für wen hält sich der Mann?«, fragte Trofim, nachdem die beiden verschwunden waren. »James Bond?«
    »Er heißt Wintersmith«, sagte ich lachend. »Giles Wintersmith.«
    Jemand tippte mir auf die Schulter. »Deine Begleitung …« Leo zeigte durch den Saal. »Sie steht nicht auf der Liste, jedenfalls nicht auf meiner.«
    Cilea reichte dem Maître in der Tür ihren Mantel, steckte ihm einen Geldschein zu.
    »Ich habe sie nicht eingeladen.«
    Leo zog die Augenbrauen hoch. »Natürlich nicht. Tja, wir sollten sie wohl besser begrüßen.« Er brachte ihr ein Glas Sovietskoi -Sekt, und sie lächelte unschuldig.
    »Wie hast du davon erfahren?«, fragte ich sie.
    »Von Dr. O’Heix’ Soireen? Highlights im Partykalender. Oder glaubst du an das Mantel-und-Degen-Zeug? Ihr würdet mit einer solchen Veranstaltung nie durchkommen, wenn sie nicht ganz oben abgesegnet worden wäre.« Sie zeigte zur Decke. »Ich wette mit dir um einen neuen Dacia, dass auf fünf Gäste ein Spitzel kommt. Und auf fünf Spitzel kommt wiederum ein Spitzel. Das sind die problematischen Leute. Und darin besteht die Schönheit des Systems.«
    Die Schönheit des Systems … Was war schön an dieser mise-en-abyme der Paranoia, dieser Endlosschleife des Spionierens und Ausspioniertwerdens?
    »Ich bin nur gekommen, um ein Auge auf ein paar Objekte aus dem Besitz unserer Familie zu werfen.«
    »Hier gibt es Kunst, die euch gehört?«, fragte ich und sah die Ausstellungsgegenstände plötzlich mit anderen Augen.
    »Die Vorfahren meines Vaters waren Diplomaten. Damals, im heute so genannten ancien régime . Sein Großvater und sein Vater waren Botschafter. Haute-bourgeoisie «, hauchte sie theatralisch. Ihr Atem duftete nach Lippenstift, Wein und zollfreien Zigaretten. »Der Großteil ihres Besitzes befindet sich in Museen. Mein Vater kauft ab und zu ein Stück zurück oder erwirbt etwas Neues.«
    »Und wie kauft man ein Stück von einem staatlichen Museum zurück ?«
    »Wie kaufst du etwas?«, erwiderte sie obenhin und griff nach einer auf einen Zahnstocher gespießten Olive. Wenn Gleichgültigkeit einer Rüstung glich, war die Nonchalance mit einem fein gewebten, federleichten Kettenhemd vergleichbar. Cilea war nonchalant – ein Wort, für das ich bis jetzt noch nie eine Verwendung gehabt hatte.
    »Zeig mir eure Sachen.« Ich ergriff sie beim Arm, und sie führte mich durch die Menge. Wir sahen uns der Reihe nach die Besitztümer ihres Vaters an: eine Bauerntruhe aus der Renaissance, ein Paar Prunkschwerter, afghanische Teppiche, inzwischen als »dekadent« eingestufte Gemälde rumänischer Künstler. Cilea zeigte mir das kubistisches Gemälde einer aus dem Orient-Express steigenden Frau, deren Bewegungen ebenso aufgesplittert waren wie auf Duchamps berühmterem Bild: Ein in der Luft flirrendes Kielwasser aus Hüten und Pelzen, Nasen und Augen, Armen und Beinen, Armreifen und anderem Schmuck zeichnete ihr Verlassen des Waggons nach.
    » Von der Krankheit des Individualismus und des bourgeoisen Materialismus

Weitere Kostenlose Bücher