Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
bevor ich die Universität erreichte, wurde mir der Grund dafür bewusst. Überall trugen Menschen Schreibmaschinen durch die Straßen. Das war kein Zuckerschlecken, denn meist handelte es sich um gepflegte Antiquitäten mit Eisengestell und Bakelittasten, die auf langen, geschwungenen Fingern saßen. Zwei Männer schleppten eine elektronische Schreibmaschine von der Größe eines Zwergelefanten aus den Büros der TAROM. Sekretärinnen mit manikürten Fingernägeln und makelloser Frisur sahen draußen betrübt zu, wie das Monstrum auf einen wartenden Laster geladen wurde.
Dieser sogenannte Tag der Schreibmaschinen war ein jährliches Ereignis und diente der Registrierung all jener Apparate, die zur Abfassung regimekritischer Texte oder für Samisdat-Publikationen benutzt werden konnten. Eine solche Überwachungsmaßnahme war gelinde gesagt umständlich – Dutzende von Beamten in der Stadt ausschwärmen zu lassen, damit sie jede Schreibmaschine prüften, erforderte einen sehr zeitraubenden und kostspieligen Verwaltungsaufwand. Andererseits war es keine Repression, die auf ein konkretes Vergehen folgte, sondern Vorbeugung. Leo hatte mir von dem »Nationalen Handschriftenarchiv« erzählt, einer Kopfgeburt Elena Ceaușescus. Im Rahmen dieser dem Maschineschreiben geltenden Aktion sollte nun ein genaues Profil des Schriftbildes einer jeden Schreibmaschine im Land erstellt werden. Laut eines alten Witzes hatte Frau Professor Doktor Ceaușescu viel Geld in die Telepathieforschung investiert, um ein Archiv für Klang und Tendenz der Gedanken aller Einwohner anzulegen.
Ich wollte im Mitarbeiterzimmer einen Kaffee kochen, ein unsinniger Reflex aus meinem früheren Leben, denn hier gab es keinen Kaffee, und die Kochplatte war kaputt. Der funktionsuntüchtige Fotokopierer, ein Monstrum aus der DDR, hatte sich diesen Tag ausgesucht, um wieder zum Leben zu erwachen. Mehrere Leute, für die diese Maschine fast ein Mythos war, sahen gespannt zu. Der Kopierer würgte ein Blatt Papier aus und spotzte, gab den Geist wieder auf.
Eine Nachricht an meiner Bürotür unterrichtete mich davon, dass Professer Ionescu mich zu sehen wünsche. Er saß an seinem Schreibtisch, wirkte beunruhigt. Dort, wo sonst die Schreibmaschine stand, zeichnete sich ein schimmerndes Rechteck im Staub ab.
»Sie werden auf dem Parkplatz der Universität erwartet«, sagte er.
»Von wem?«, fragte ich. Ionescus Nüchternheit war ein schlechtes Omen.
»Sie haben Besuch. Der stellvertretende Innenminister, Manea Constantin, möchte Sie sehen. Ich weiß nicht, worum es geht, und vielleicht bin ich nicht mehr lange genug hier, um es zu erfahren. Vielleicht arbeite ich bald als Hausmeister. Und nun gehen Sie bitte.«
Draußen stand ein schwarzer Mercedes mit dem Kennzeichen der Partei. Zwei lächelnde junge Männer stiegen aus, beide gepflegt und im eleganten Anzug, beide nach französischem Aftershave duftend. Höflich waren sie außerdem – ein weiterer Grund zur Beunruhigung.
»Wir möchten Sie bitten, uns zu begleiten, Domnul . Es gibt jemanden, der Sie kennenlernen möchte«, sagte der eine. Er klang sowohl bestimmt als auch wie jemand, der wusste, dass er nicht zu drohen brauchte. Ob den beiden das Klischee bewusst war, das wir gerade auslebten? Wahrscheinlich, denn auf dem Schwarzmarkt wurden amerikanische Actionfilme und Mafia-Familiensagas gehandelt: Zwei Schergen mit schwarzer Limousine unterbreiteten mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte.
»Ich würde liebend gern mitkommen, aber leider habe ich zu tun. Ich muss eine Vorlesung halten.«
»Man hat alles mit Ihrem Professor besprochen. Bitte«, sagte der andere und zeigte auf die Lederpolster des Autos. »Wir fahren Sie nach dem Mittagessen zurück.« Die Scheiben des Mercedes waren dunkel getönt, im Inneren sorgte die Klimaanlage für eisige Luft. Leichenschauhaustemperatur, dachte ich, während meine Zähne klapperten.
Wir rollten ungehindert auf den Hof des Innenministeriums. Die Männer parkten das Auto und begleiteten mich in die Eingangshalle des Gebäudes. Von dort wurde ich nach oben geführt, in einen riesigen Raum mit kahlen Wänden und hoher, mit Hammer und Sichel verzierter Decke. Hier stand ein Schreibtisch, der aus einer mächtigen, auf zwei Marmorblöcken ruhenden Glasplatte bestand. Die Doppeltür dahinter war wie üblich von Porträts der Ceaușescus gerahmt. Der am Schreibtisch sitzende Mann erhob sich, streckte zum Gruß eine Hand aus: Manea Constantin, der
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