Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
das Wasser brodelte. Sie saß mit gesenktem Kopf auf dem Sofa, drückte die Knie zusammen, hatte die Finger ineinander verschränkt. Als ich Tee einschenkte, sprang sie auf und ging in das Bad. Ich hörte, wie ein Wasserhahn spotzte. Kurz darauf kam sie wieder heraus, barfuß und in einem selbstgenähten Kleid aus bäuerlich bunten Stoffen. Ihr offenes Haar fiel auf ihre Schultern, und sie hatte wieder etwas mehr Farbe. Sie lächelte – reinste Willenskraft –, holte eine Flasche Tsuica hervor, trank einen tiefen Schluck und wischte dann mit einem Handrücken über den Mund.
»Ich muss jetzt arbeiten – für morgen etwas vorbereiten, Krankenakten, die niemand außer mir liest. Und dann muss ich schlafen. Vielen Dank für Ihr Kommen. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich etwas höre.«
»Und?«, fragte Leo, und als ich beim Einsteigen das Gesicht verzog, fügte er hinzu: »Entschuldige – ich habe das Auto vollgefurzt. Liegt sicher an der alten Sojasalami. Wenn wir fahren, ist die Luft bald wieder rein.«
Während der Wind durch die offenen Fenster wehte, lauschte Leo stumm meinem Bericht über Ottilia. Ich wiederholte alles in immer neuen Formulierungen, als könnte ich so etwas zutage fördern.
»Alles klar«, sagte Leo. »Verstehe. Lass mich kurz nachdenken.«
Aber zehn Minuten später schwieg er immer noch. »Was ist los, Leo?«, fragte ich. »Ich weiß, dass dir etwas durch den Kopf geht. Heraus damit!«
»Du wirst das nicht gern hören, aber Scheiß drauf, denn ich liege sicher falsch, und sollte es stimmen, dann hättest du genau genommen keine Schuld daran – nein, dann würde die Schuld bei diesem ätzenden System liegen. Also folgendes: Du hast Petre Cilea vorgestellt, richtig?«
»Ja, nur das eine Mal«, antwortete ich, ohne zu verstehen, worauf er hinauswollte. Ich war müde, und das machte mich begriffsstutzig.
»In diesem Land ist einmal genug. Also: Sie begegnen einander, wollen aber nicht miteinander reden, dort im InterContinental, wo sich Nicu Ceaușescu, Manea Constantin, Ion Stoicu und wer weiß wie viele Schergen, Arschkriecher, Spione und Spitzel herumtreiben. Sie ist die Tochter eines hochrangigen Parteifunktionärs, und er ist … ja, was? Ein Student, der bis zum Hals in Ärger steckt. Ein paar Tage später brechen Petre und Vintul zu einer jener Missionen auf, die sie schon x-mal unbeschadet überstanden haben, und dann – sind sie plötzlich verschwunden.«
Jetzt begriff ich, was er andeutete, denn diese Ahnung hatte schon seit Wochen an mir genagt, mein Unbehagen und meine latenten Schuldgefühle genährt. Nun stand es mir deutlich vor Augen, krampfte meinen Magen zusammen: Irgendetwas war passiert, und ich höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich.
»Wir wissen es nicht. Niemand weiß es genau.« Leo hielt sich plötzlich bedeckt, ein Zeichen dafür, dass er etwas durchschaut zu haben glaubte. »Man könnte ihnen auf alle möglichen Arten auf die Schliche gekommen sein, sie aus allen möglichen Gründen verhaftet haben.«
Er fuhr so langsam, dass wir von einem Polizisten angehalten wurden und uns ausweisen mussten. Leo plauderte nicht mit dem Mann, spielte nicht den Leutseligen, sondern gehorchte nur mürrisch. Der Polizist prüfte unsere Papiere und winkte uns dann verdutzt weiter. Er schien Leos Ruf zu kennen und hatte offenbar mehr erwartet, eine extravagante Bestechung oder einen riskanten Witz.
»Ich setze dich vor deiner Wohnung ab. Ich möchte, dass du die Sache erst mal vergisst. Zerbrich dir nicht weiter den Kopf darüber. Aber egal, was du tust – du darfst nicht mit Cilea darüber reden. Warte ab, bis ich etwas herausgefunden habe.«
DREIZEHN
Es war der vierzehnte Juli, Tag der Bastille, und alle Ausländer in Bukarest freuten sich auf die große Soiree in der französischen Botschaft. Nur die Prinzessin schlug die Einladung aus. Sie schickte jedes Jahr den gleichen Brief. Er begann mit den Worten: »Ich danke Seiner Exzellenz, dem Botschafter, für die freundliche Einladung, muss ihm jedoch mitteilen, dass ich am vierzehnten Juli keinen Grund zum Feiern sehe …« Dann ließ sie sich ausführlich über die Greuel und das Versagen der Republikaner aus. Jeder, der am vierzehnten Juli 1989 über die Piaţa Republica geschlendert wäre, hätte ihr zugestimmt, denn der Platz, der wegen der Mangelwirtschaft und täglichen Schlangen, der allgegenwärtigen Polizei und Securitate schon trist genug war, wirkte an diesem Tag noch leerer und öder als sonst.
Kurz
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