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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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hätten. In Maneas Limousine hingegen glitten wir still dahin, und hinter den Scheiben schien die Landschaft wie in einem Film aus den fünfziger Jahren abgespult zu werden.
    Snagov, das »Sozialistische Dorf«, war ein acht Hektar großer, abgeriegelter Bezirk für hohe Parteifunktionäre. Hier gab es Villen, Fitnessstudios, Sporthallen, Saunas, Zentren für Hautpflege und Anti-Aging. Läden mit verdunkelten Schaufenstern verkauften Haushaltsgeräte, Delikatessen, Designerkleidung. Die Frauen von Politbüromitgliedern machten einen Einkaufsbummel, während ihre Kinder auf Motorrädern aus dem Westen zu Kinos fuhren, in denen amerikanische Actionfilme liefen. Im Gegensatz zu Bukarest war dieser Ort sauber und ordentlich; eine Kreuzung zwischen der Schweiz und den Rentnerparadiesen Floridas – eine Costa Geriatrica jenseits des Eisernen Vorhangs.
    Der Altersdurchschnitt wurde durch eine Kolonne uniformierter, in Zweierreihe marschierender Jungen und Mädchen gesenkt. Diese »Jungen Pioniere«, Kindersoldaten der Partei, hatten einen Rucksack auf und trugen Kompass und Wasserflasche um den Hals. Sie liefen im Gleichschritt und sangen heroische Lieder, eine Phalanx kommunistischer Wandervögel, im Takt einer automatisierten Kindheit dahinstapfend. »Zwei Bretter«, mit Ray-Ban-Sonnenbrille und Lacoste-Polohemd, brauste auf einer roten Vespa vorbei.
    »Dies ist der Wohnbezirk des Zentralkomitees«, erklärte Constantin. »Einige ziehen allerdings die Stadt vor. Im Dezember empfange ich hier eine Delegation Ihres Außenministeriums. Ich lasse Ihnen eine Einladung schicken.«
    Besten Dank , dachte ich. Das wäre genau das Richtige für Weihnachten: Im Anzug dazustehen, während sich rumänische Parteibonzen unter Diplomaten, schleimige Rüstungsproduzenten und speichelsprühende, für geheime Waffengeschäfte zuständige Unterstaatssekretäre der Torys mischten. »Werde ich mir vormerken«, erwiderte ich auf Rumänisch. Ich versuchte, sarkastisch zu klingen, in einer Fremdsprache nicht ganz einfach. Aber ich würde vermutlich hingehen – das war das Schlimme.
    Wir wurden in einem modernen Speisesaal an unseren Tisch geführt. Im Gegensatz zum Capsia war dieser Raum nur ein schlichter Kubus. Die Speisekarte war lang, die Weinkarte üppig. Hier bekam man alles, von Austern bis Wildschwein, von einem Cheval Blanc bis zu einem Chateau Talbot. Die Kellner sahen aus, als wären sie von einer Militärakademie hierher versetzt worden. Sie waren sicher Fallschirmjäger, immer bereit, die hohen Parteichargen im Falle eines Aufstands zu beschützen. Oder, wie mir später durch den Kopf ging, sie zu beobachten und rechtzeitig vor einem Putschversuch zu verhaften.
    In einer Ecke saß eine Gruppe älterer Offiziere. Sie unterhielten sich lautstark, leerten ihre Gläser so rasch, dass die Flaschen gar nicht erst abgestellt wurden. Constantin bestellte einen Gin Tonic, der in einem hohen Schwenker mit Parteiemblem serviert wurde. Ich trank eine Cola. Die aus den Lautsprechern rieselnde Ambiente-Musik klang wie eine Krematoriumsorgel, die anderthalbmal schneller spielte als gewöhnlich.
    »Dort steht der Palast des Genossen«, sagte Constantin und zeigte auf die wuchtige Steinterrasse. Dahinter erstreckte sich ein klarer, blauer See, auf dem Tret- und Ausflugsboote zu sehen waren. Wiederum dahinter konnte ich die Zinnen eines Turms erkennen, der von einem Hubschrauber umkreist wurde. »Er scheint daheim zu sein«, sagte ich fröhlich. Ceaușescu besaß einundvierzig Villen und einundzwanzig Paläste, alle mit einem jederzeit einsatzbereiten Stab von Bediensteten. »Nicu soll ja ganz in der Nähe wohnen«, fügte ich hinzu.
    Bei der Erwähnung Nicus stellte Constantin sein Glas ab und wischte sich mit einer Serviette, die mit Hammer und Sichel bestickt war, den Mund ab. Ein Kellner zuckte zusammen, drehte sich aber nicht nach uns um.
    »Der Lieblingssohn unseres Genossen, ja. Unser Minister für Sport und Jugend hat viele Sorgen. Wir haben gelernt, mit seinen persönlichen Problemen umzugehen. Er selbst leider noch nicht …«
    Vorbeikommende Speisegäste überschlugen sich bei der Begrüßung Maneas vor Höflichkeit. Ich kannte einige der Gesichter aus den Läden und Restaurants der Nomenklatura, den Nachtclubs und Botschaften. Mit einigen besprach er sich leise, schrieb Uhrzeit und Datum anvisierter Treffen in sein Parteitagebuch. Er schien beliebt zu sein, und mir kam der Gedanke, dass er sich, um seine Ziele zu erreichen, nicht nur

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