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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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auf seine Macht, sondern auch auf etwas verließ, das an Treue und Gemeinschaftsgeist grenzte. Besonders auffällig war die hohe Zahl jüngerer Funktionäre, die ihn ansprachen. Die Kellner behandelte er höflich, wahrte dabei aber seine unverhüllte und zugleich verhaltene Machtausstrahlung.
    Stoicu erschien. Er nickte Manea kurz und verächtlich zu, musterte mich und setzte sich dann zu den Militärs. Wenn er mich von dem Abend mit den Serben wiedererkannte, zeigte er das nicht, aber man konnte den Ausdruck seiner winzigen, tief sitzenden Augen nicht erkennen, und die Fettwülste des Gesichts verbargen sein Mienenspiel. Er sprach einen Toast aus: »Auf den Genossen!« Ein Zeichen, dass sich alle erheben mussten, denn sonst wäre sofort getuschelt worden. Auch Manea sah sich gezwungen, aufzustehen, obwohl er gerade seinen coq au vin aß. Weitere Toasts folgten: Auf Elena, die Jungen Pioniere, den Kampf gegen die Faschisten. Die Gäste im Speisesaal sprangen alle zwei Minuten auf, und die meisten schlangen ihr Essen hinunter, um möglichst rasch gehen zu können.
    Wir tranken den Kaffee auf der Terrasse. Manea zündete sich eine Sobranie an, ich eine Carpati. »Sie passen sich unseren Gewohnheiten an, wie ich sehe«, bemerkte er. Drinnen hatte Stoicus Clan ein Lied angestimmt. Manea zeigte mit dem Kopf in ihre Richtung. »Klassenunterschiede kann man zwar einebnen, aber beim Essen treten sie immer wieder zutage, meinen Sie nicht auch?«
    »Ich dachte, Sie würden das verhindern, indem Sie das Essen ganz abschaffen«, erwiderte ich. »Jedenfalls, was die Masse der Bevölkerung betrifft …«
    » Touché! Das ist schlagfertig. Aber wie ich feststellen durfte, haben die Beschwerlichkeiten des Alltags Ihren Appetit nicht schmälern können. Wenn ich bedenke, wie Sie Kalbfleisch und crème brulée verspeist haben …«
    »Stimmt – ich habe gelernt, die Bereiche meines Lebens voneinander zu trennen.« Ich zog tief an meiner Carpati.
    »Oh, ich glaube, dass konnten Sie schon, bevor Sie nach Rumänien gekommen sind … Cilea hat mir erzählt, dass Sie ihr die Reise nach London ermöglicht haben. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Geben Sie mir Bescheid, wenn ich etwas für Sie tun kann. Im übrigen hoffe ich, dass Sie Cilea gut behandeln.«
    »Sie sorgt für sich selbst. Nach meiner Erfahrung tut sie nichts anderes«, sagte ich.
    Manea stellte seine Tasse ab und lachte. »Ja, so denken viele über sie. Und ich wünschte, es wäre wahr …« Er wurde ernst. »Wie sie mir berichtet hat, werfen Sie ihr vor, mit dem Verschwinden Ihrer Freunde in Verbindung zu stehen. Ich möchte keine Einzelheiten wissen. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie sich irren.«
    Er drückte die Zigarette aus, ließ den Blick über die Terrasse schweifen und flüsterte mir zu, indem er einen Arm um meine Schultern legte: »Sie sehen die Sache sicher so oder werden angehalten, sie so zu sehen: Cilea findet durch Sie heraus, was vorgeht; sie erzählt es mir; ich erteile daraufhin Befehle. Ihre Freunde verschwinden. Aber warum sollte ich mich für das Treiben von Hippies interessieren? Nehmen wir an, ich hätte es gewusst, schon seit langem gewusst, aber nie etwas dagegen unternommen – warum sollte ich ausgerechnet jetzt handeln?«
    »Haben Sie es gewusst?«
    »Das ist nicht entscheidend – wenn ja, habe ich daraufhin nicht gehandelt.«
    »Vielleicht haben Sie die Information weitergeleitet und andere handeln lassen …« Stoicu und seine Kumpane, alle mit weißer Serviette im Kragen, mit Stoppelschnitt, kleinen Ohren und wabbeligem, dicht über dem Teller hängendem, rosigem Gesicht, glichen den Schweinen aus der Verfilmung von Orwells Farm der Tiere . Manea mochte sich von ihnen abgrenzen, aber der Unterschied war genau genommen nicht groß. »Außerdem verschwinden Menschen nicht einfach so!«, sagte ich.
    Er zog die Augenbrauen hoch und lachte. »Ach nein? Sind Sie da ganz sicher?«
    Er rührte eine Weile im Kaffee. Dann sagte er vertraulich: »Was ich Ihnen jetzt erzähle, ist auch für mich riskant, denn sogar ich muss über unser Gespräch Bericht erstatten. Doch ich tue es wegen Cilea. Es ist sehr bedauerlich, dass sie sich von Ihnen fernhält. Ich werde Ihnen die Gründe dafür bei anderer Gelegenheit nennen. Denken Sie von mir, was Sie wollen, aber glauben Sie mir: Cilea hat mit der Sache nichts zu tun. Momentan kann sich niemand in Sicherheit wiegen. Behörde kämpft gegen Behörde, Minister gegen Minister. Jede Organisation, jeder

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