Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
stellvertretende Innenminister, im anthrazitfarbenen Anzug und mit einem Savile-Row-Hemd, dessen Blau an einen winterlichen Nachmittagshimmel erinnerte. Am Rand des Schreibtisches lagen einige Papiere, und mitten darauf stand eine Espressomaschine, neben der sich ein bedrohlich schiefer Stapel von ausländischen Zeitschriften türmte. Ein Zerstäuber von Signor Ricci , im Duty-Free-Laden für schlappe dreißig Pfund zu bekommen, diente sowohl als Eau de Cologne als auch als Raumspray.
In einem Nebenzimmer tippten zwei Sekretärinnen. Eine war gedrungen und matronenhaft, die andere schlank und hübsch und Cilea so ähnlich, dass ich zweimal hinsehen musste. Sie drehte sich lächelnd um; sie wirkte wie eine Geliebte, strahlte die für alle anderen unerreichbare sexuelle Verfügbarkeit der Gefährtin eines mächtigen Mannes aus.
»Nennen Sie mich Manea«, sagte er charmant. Zu freundlich , dachte ich, als ich ihm meine feuchte Hand gab, gerahmt von zwei Lakaien, die ihre Waffen offen zur Schau trugen. »Ich finde, wir sollten ein wenig Zeit miteinander verbringen … uns kennenlernen. Ich weiß gern, mit wem meine Tochter befreundet ist.«
» War «, berichtigte ich ihn. »Wir haben seit einem Monat nicht mehr miteinander gesprochen, und sie hat auf meine Anrufe nicht reagiert.«
»Aber zuerst eine Rasur«, sagte er, ohne auf meine Worte einzugehen. So hatte ich mir diesen Vormittag nicht vorgestellt.
Wir fuhren zum Hotel InterContinental. Der Verkehr wurde für uns angehalten, rote Ampeln wurden ignoriert. Das Hotel schien verflucht zu sein, denn ich musste immer wieder dorthin zurückkehren. Der Geschäftsführer ließ das Gepäck eines Touristen liegen und geleitete uns bis zum »Schönheitszentrum« des Hotels, wo wir von zwei Friseuren erwartet wurden.
Wir nahmen nebeneinander Platz. Heiße Handtücher und Rasiermesser erschienen. Manea Constantin sprach auf dem Umweg über den Spiegel mit mir. Ich versuchte wiederholt, mich zu ihm umdrehen, aber der Friseur hatte meinen Kopf festgezwängt. Umso besser – das Rasiermesser war bestimmt so scharf, dass ich einen Schnitt erst bemerken würde, wenn ich schon blutete. Die Klinge war heiß, der dünne, tödliche Stahl glitt unmerklich über meine feuchte Haut. Mir traten Tränen in die Augen, als der Friseur ein Nasenloch hochzog, um die darin wachsenden Haare zu stutzen. Ich musste ein Niesen unterdrücken.
»Vlad der Pfähler schlitzte die Nasenlöcher seiner Opfer auf, so dass sie wie Lumpen im Wind flatterten«, sagte Manea, als könnte mich diese Information beruhigen.
Der Friseur sprenkelte mir ein mentholhaltiges Adstringens auf Kopf und Nacken und begann mit einer türkischen Schädelmassage. Mir kam es vor, als würde meine Haut abgepellt, gedehnt und über meinen Kopf gezogen werden, und ich fühlte mich auf einmal topfit.
Constantin hatte offenbar viel Übung in Spiegelgesprächen und genoss ihre Symbolik: Alles war seitenverkehrt, und wir unterhielten uns von Spiegelbild zu Spiegelbild. Er führte das Gespräch klug und gewandt und ließ mich fast vergessen, dass er vermutlich ebenso korrupt und gnadenlos war wie alle anderen auch. Er war eindeutig der Vater seiner Tochter: Auch er gab sich nonchalant, obwohl er eine große Verantwortung hatte. Doch im Gegensatz zu Cilea, die alles von sich fernhielt, stand er im Zentrum des Geschehens. Ich fragte ihn nach dem Geschehen an der Universität, nach dem Schicksal Ionescus.
»Die Scharade heute Vormittag? Die Schreibmaschinen?« Er lachte. »Das ist inzwischen eine Tradition wie Volkstanz oder Korbflechten. Ich habe nichts damit zu tun. Die Anweisungen kommen von ganz oben. Was die Absetzung Ihres Professors betrifft, so wäre Genosse Stoicu dafür verantwortlich. Ich mische mich da nicht ein.«
»Und das Nationale Handschriftenarchiv?«, fragte ich.
Er unterbrach mich mit einem Lachen. »Ja, davon habe ich auch gehört. Aber auch das fällt in den Zuständigkeitsbereich von Genosse Stoicu. Eine sehr kostspielige und unsinnige Initiative. Als nächstes fragen Sie mich bestimmt nach der Telepathieforschung …«
Manea lehnte sich entspannt zurück. Wir schwiegen, bis die Friseure die Haare von unserem Kragen bürsteten.
»Sie werden jetzt mein Gast im Restaurant des Politbüros in Snagov sein.«
Vierzig Minuten später waren wir dort. Außerhalb der Stadt gab es viele Schotterpisten, die uns, wären wir in Leos Škoda unterwegs gewesen, unzählige Nerven gekostet und alle Knochen durchrüttelt
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