Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Terrasse in den Garten.
»Junge – das war mutig. Was passiert jetzt mit ihm?«
»Er bekommt eine Besinnungspause, und wenn er danach nicht mitspielt, wird manches von dem eintreten, was ihm dieser Bastard angedroht hat. Vermutlich fast alles. Aber keine Sorge – er hat sicher auch einiges auf dem Kerbholz, denn sonst hätte er nicht mit diesen Ministern konferiert. In diesem Land gibt es keine Helden. Und sollte es sie geben, dann sind sie ganz sicher nicht hier.«
Ich stellte mir einen Tag der Abrechnung in Rumänien vor, an dem alte Rechnungen beglichen und Urteile verhängt würden. Prozesse, in denen die Richter die Angeklagten für schuldig befanden und danach die Rolle mit ihnen tauschten. Wie sich zeigen sollte, lag ich damit nicht ganz falsch – bis auf die Urteile.
Manea erhielt eine Nachricht auf seinem Empfänger. Sekunden später brauste der schwarze Mercedes auf einer Lindenallee dahin. Die Jungen Pioniere saßen im spärlichen Schatten der Bäume im Kreis, vierzig bis fünfzig Kinder, die schweigend Sojasalami und Rucola aßen. Mit ihren reglosen Köpfen und kauenden Kiefern erinnerten sie an Puppen.
Manea sprach wieder: »Ihr Freund Trofim scheint die Niederschrift seiner Memoiren sehr zu genießen. Wie ich höre, sind es die Erinnerungen eines guten Kommunisten, aber sie sollen auch sehr langweilig sein. Er täte gut daran, es dabei zu belassen. Wenn nicht, braucht er wahrscheinlich gute Freunde. Und damit meine ich keine im Ausland.«
»Soll das eine Drohung sein?«, fragte ich.
»Sie wollen mich offenbar um jeden Preis missverstehen. Nein, das ist keine Drohung. Er weiß, was ich meine. Berichten Sie ihm.« Manea, dieser aalglatte Funktionär, schien sich zu ärgern, weil ich ihm misstraute. Auf der Rückfahrt fragte ich mich, ob ich ihn durch meine spitzfindigen Kommentare und meinen Argwohn beleidigt hatte.
Nachdem ich ausgestiegen war, drehte ich mich noch einmal um und entschuldigte mich. »Verzeihen Sie. Ich wollte nicht zynisch sein. Das ist nur meine Art. Sie wissen ja, dass man hier nie weiß, wem man vertrauen kann …« Manea wischte die Kränkung weg, und als er seinen Arm schwenkte, fing ich einen Hauch seines Aftershaves auf, sauber, frisch und zitronig trotz der Hitze. Ich schwitzte, fühlte mich unwohl in meiner Haut, war mir meines Körpergeruchs bewusst.
»Natürlich sollten Sie mir nicht trauen, aber Sie könnten mir wenigstens glauben«, erwiderte er lächelnd. »Oder können Sie noch nicht zwischen beidem unterscheiden?«
Ich wusste immer noch nicht, was Petre und Vintul widerfahren war, aber ich hatte begriffen, wo der Hase hier entlanglief, und ich glaubte Manea, dass Cilea damit zu tun hatte – was auch immer passiert war. Würde Leo es auch glauben?
Auf dem Weg ins Büro blieb ich auf dem Treppenabsatz im zweiten Stockwerk stehen und betrachtete die Skyline von Bukarest. Irgendwo dort draußen harrte der Architekt seines Schicksals. Irgendwo dort draußen hielt man Vintul, Petre und die anderen fest, aber vielleicht waren sie auch nur untergetaucht. Überall ragten Kräne auf; es gab keinen einzigen Abschnitt am Horizont, der nicht von Kränen und Baugerüsten wimmelte. Der Speisesaal in Snagov war das Symbol des neuen Bukarest: Hinter der starren Symmetrie des Kommunismus, den weitläufigen, toten Oberflächen aus Granit und Marmor verbargen sich komplizierte, verwickelte Pläne und Intrigen, die wuchsen und wucherten und am Ende sowohl sich selbst als auch ihre Urheber verschlangen. Manea, Stoicu, Trofim, Ionescu, die Geißelnden und die Gegeißelten … sie alle waren Teil einer sich in den Schwanz beißenden Paranoia, einer manischen Selbstzensur, die innerhalb der Partei, diesem ausdruckslosen Monolithen, wütete.
Zuerst bemerkte ich die Kisten vor Ionescus Büro. Gerahmte Diplome wurden von einer schniefenden Rodica in alte Ausgaben der Scînteia gewickelt und von Micu in Kisten verpackt. In seiner prächtigen Uniform sah er aus wie ein alter Soldat, der gefallene Kameraden auf dem Schlachtfeld beerdigte. Leo und Ionescu saßen betrübt im Büro, vor sich eine Flasche Tsuica.
»Wie soll ich ihr das heimisch erklären? Ich werde es ihr wohl an den Kopf schlagen müssen.« Ionescu hatte sich die Begabung für haarscharf danebenliegende Phrasen bewahrt, obwohl er in seinem neuen Job höchstwahrscheinlich keine Verwendung dafür hätte.
»Man stellt Sie nicht wirklich kalt. Fassen Sie es als Pause auf. Sie werden in null Komma nichts wieder hier sein.«
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