Die Achte Fanfare
Freude beinahe laut gejubelt, denn nun war er der einzige in den dunklen Niederungen der USA, der nichts als Mord im Sinn hatte. Er fürchtete niemanden, bis auf Kimberlain vielleicht, und Kimberlain war schon vor langem aus seinem Leben getreten, war nur noch ein Schatten der Vergangenheit, wie die vielen Ortsschilder an den vielen Straßen, die er einmal befahren hatte und nie mehr befahren würde.
Doch die Vergangenheit hatte viele Schatten, die sich schlüpfrig und finster in den verstaubten Winkeln seines Verstandes festsetzten. Er war als Kind in Pennsylvania geprügelt worden, von beiden Eltern, die der Ansicht waren, sie übten den Willen Gottes aus, blutig geschlagen, bis er schließlich nur noch zusammengerollt unter dem Bett schlief anstatt darauf. Doch als ihn die Leute von der Fürsorge seinen Eltern weggenommen hatten und er von einem anderen Ehepaar in einem anderen Teil des Landes adoptiert worden war, war es ihm nicht besser, sondern nur noch schlimmer ergangen.
Ein paar Monate nach seinem zwölften Geburtstag hatten sie ihn erwischt, wie er an sich herumgespielt hatte. Das war Teufelswerk. Lieber Gott, rette unseren Jungen, errette ihn; zeige uns den rechten Weg, o Herr, zeige uns den rechten Weg … Die Hände hatten das Teufelswerk verrichtet, und die Hände mußten dafür bestraft werden.
O ja.
Also zerrten sie ihn tretend und schreiend zum Küchenherd, in der vollen Absicht, diese verfluchten Hände in die lodernden Flammen zu zwingen. Quail hatte um sich geschlagen und sich gewehrt, und einer seiner Tritte hatte den Kanister mit dem Benzin getroffen, mit dem sein Vater das Feuer im Herd zu entfachen pflegte. Es war an Quail hochgespritzt, in dem Augenblick, als die Flammen ausschlugen. Ja, diese Schatten brachten noch immer den Schmerz zurück, der genauso schrecklich und unerbittlich war wie damals, und auch die Schreie, mit denen er ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Über neunzig Prozent seines Oberkörpers waren verbrannt; das Feuer hatte ihm alle Haare genommen, ein Ohr, die Lippen und einen Teil seiner Nase. Und sein Gesicht, oh, sein Gesicht! Es war einfach nicht mehr da. Hautverpflanzungen bewirkten nur wenig und waren die Schmerzen ganz einfach nicht wert. Doch er starb nicht, und lange Zeit über verstand Quail nicht, wieso er überlebt hatte.
Monate verstrichen, und das Ehepaar, das sich seine Eltern nannte, holte ihn nach Hause. Er wurde nun nicht mehr geprügelt, doch dafür mieden sie ihn völlig. Sie sperrten ihn in den verschlossenen Kellerraum ein, der zu seiner Welt wurde. Er lernte, das Licht zu hassen und die Dunkelheit zu lieben, denn die Dunkelheit ersparte ihm sein Spiegelbild. Quail verlor jedes Gefühl für die Zeit, die Monate und Jahre, die verstrichen. Doch der Schmerz blieb. Er wurde größer als das feuchte Bett, das sie ihm gegeben hatten, und mußte seine Knie immer höher ziehen, um sich in kühlen Nächten unter der Decke wärmen zu können. Wenn er aufmerksam lauschte, konnte er hören, wie sie oben beteten, um Vergebung, um Erlösung.
Quail haßte sie.
Er wußte sogar ohne die Gesellschaft anderer Kinder, daß er anders war. Es lag nicht nur an den verunstalteten Gesichtszügen unter den kreideweißen Masken, die die Ärzte ihm gegeben hatten. Im Keller lag Brennholz für den Herd, und Quail konnte faustgroße Scheite mit bloßen Händen zerquetschen. Dort lagen auch dicke Stahlrohre, und die konnte er zusammen- und wieder auseinanderbiegen und schließlich sogar durchbrechen.
Er wußte nicht, warum er sich in jener Nacht nach oben wagte; er ahnte nur, daß hinter dieser Tür und der nächsten etwas auf ihn wartete, das noch nicht erledigt war. Die verschlossene Kellertür stellte kein Problem für ihn dar: Ein Rempler mit der Schulter, und sie splitterte auf. Er schlich leise durch das Haus und vergewisserte sich, daß alle Fenster und Türen geschlossen waren. Dann tränkte er die Fußböden mit Benzin aus demselben Kanister, den er damals umgestoßen hatte, und warf ein brennendes Streichholz in der ersten Etage und eins im Erdgeschoß auf den Boden. Draußen harrte er so nahe bei den Flammen aus, daß er ihre Hitze spürte, nur, um sicherzugehen, daß er die schrecklichen Schreie des Mannes und der Frau hören würde, die ihn zu dem gemacht hatten, das er war.
Und was genau war er?
Er war ein Reisender der Nacht, der vor Glück zitterte, wenn er Schmerzensschreie hörte. Nicht seine Schreie; er begriff, daß er all das überlebt hatte,
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