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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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es tief verborgen unter Nähseide, Garn und Bändern lag. Gedanken an irgendwelche Teufel kamen ihr in den Sinn, an Kinder, die aus ihren Betten verschleppt wurden, an Zeichen auf der Erde und an Steine, verräterische Spuren, dass irgendetwas Böses freigesetzt worden war und sein Unwesen trieb. Mitten in der Nacht fuhr sie aus dem Schlaf, das Bild der acht Tarot-Tafeln schwer auf ihr lastend. Sie zündete eine Kerze an und verjagte die Geister. Sie würde sich nicht von ihnen zurücklocken lassen.
    Denn jetzt begriff Léonie mit absoluter Klarheit, was es mit Audric Baillards Warnung auf sich hatte. Die Geister des Ortes waren kurz davor gewesen, sie zu holen. Sie sollte ihnen nicht noch einmal die Gelegenheit dazu geben.

Kapitel 54
    ∞
    D as milde Wetter hielt bis Dienstag, den 20 . Oktober.
    Ein metallisch grauer Himmel hing tief am Horizont. Feuchter dichter Nebel hüllte die Domaine mit frostigen Fingern ein. Die Bäume waren bloß als Silhouetten zu erkennen. Der See war aufgewühlt. Die Wacholder- und Rhododendronbüsche duckten sich unter einem böigen Südwestwind.
    Léonie war froh, dass Anatole mit Charles Denarnaud am Tag zuvor jagen gewesen war, ehe der Regen einsetzte. Er war am Morgen losgezogen, die geborgten Flinten in einer geschulterten Ledertasche, deren Schnallen in der Sonne glänzten. Am späten Nachmittag war er wieder da gewesen, mit ein paar erlegten Tauben, einem vom Wetter geröteten Gesicht und Augen, die noch vom Jagdfieber strahlten.
    Als sie zum Fenster hinausschaute, dachte sie, dass die Jagd heute längst kein so schönes Vergnügen gewesen wäre.
    Nach dem Frühstück ging Léonie ins Morgenzimmer, wo sie es sich gerade mit den gesammelten Geschichten von Madame Oliphant auf der Chaiselongue gemütlich gemacht hatte, als der Postbote kam. Sie lauschte, wie die Haustür geöffnet wurde, Begrüßungsgemurmel, dann rasche Schritte auf den Fliesen in der Halle, als das Hausmädchen zum Arbeitszimmer ging.
    Auf Isolde als Gutsherrin würde bald besonders viel Arbeit zukommen. Bis zum Sankt-Martins-Tag am elften November war es nur noch ein Monat. An diesem Tag wurde die Buchführung des Jahres abgeschlossen, was für einige Bauern das Ende ihres Pachtvertrages und damit den Verlust ihres Hofes bedeutete. Isolde erklärte Léonie, dass zudem die Pacht für das kommende Jahr festgesetzt wurde, und als Herrin des Anwesens war sie entschlossen, ihrer Rolle gerecht zu werden. Auch wenn die sich eher darauf beschränkte, der Einschätzung des Gutsverwalters zu lauschen und seinen Rat zu befolgen, als selbst Entscheidungen zu treffen, hatte sie sich dennoch nun schon zwei Vormittage lang in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen.
    Léonie richtete die Augen wieder auf ihr Buch und las weiter.
    Einige Minuten später hörte sie laute Stimmen, dann den ungewohnten Klang der schrillen Glocke im Arbeitszimmer. Verwundert legte Léonie das Buch beiseite und lief auf Strümpfen zur Tür, die sie einen Spaltbreit öffnete. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Anatole die Treppe heruntergesprungen kam und im Arbeitszimmer verschwand.
    »Anatole?«, rief sie hinter ihm her. »Ist ein Brief aus Paris gekommen?«
    Aber offenbar hatte er sie nicht gehört, denn er knallte die Tür hinter sich zu.
    Wie seltsam.
    Léonie wartete noch einen Moment ab und spähte neugierig weiter in die Halle, weil sie hoffte, dass ihr Bruder wieder herauskommen würde. Doch nichts dergleichen geschah, und bald wurde sie es leid, dort zu stehen, und kehrte zu ihrem Buch zurück. Fünf Minuten vergingen, dann zehn. Léonie las weiter, obwohl ihre Aufmerksamkeit woanders war.
    Um elf Uhr brachte Marieta ein Tablett mit Kaffee ins Morgenzimmer und stellte es auf den Tisch. Wie immer standen drei Tassen darauf.
    »Kommen meine Tante und mein Bruder auch zum Kaffee?«
    »Mir ist nichts Gegenteiliges gesagt worden, Madomaisèla.«
    Im selben Augenblick kamen Anatole und Isolde ins Zimmer.
    »Guten Morgen,
petite«,
sagte er. Seine braunen Augen strahlten.
    »Ich habe den Aufruhr gehört«, sagte Léonie und sprang auf. »Ich dachte, es ist vielleicht eine Nachricht aus Paris eingetroffen.«
    Seine Miene wurde einen Moment ernst. »Tut mir leid, nein. Nichts von M’man.«
    »Was … war denn dann los?«, fragte sie, als sie merkte, dass auch Isolde irgendwie froh und aufgeregt wirkte. Sie hatte einen rosigen Teint, und auch in ihren Augen lag ein Leuchten.
    Sie strebte auf Léonie zu und drückte ihre Hand. »Heute Morgen ist

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