Die achte Karte
in ihrem blassen Gesicht. Ihre Hand wanderte wie von selbst zu der Mulde an ihrem Hals. »Ich habe Angst, es ist nicht von Dauer.«
Anatole beugte sich über sie und küsste die vernarbte Haut. Selbst jetzt spürte er ihren Wunsch, sich der Berührung seiner Lippen zu entziehen. Die Narbe war eine ständige Erinnerung an ihre kurze und von Gewalt geprägte Affäre mit Victor Constant.
Erst als ihre Romanze schon einige Monate währte, nach dem Tod ihres Mannes, hatte Isolde Anatole erlaubt, sie gänzlich entblößt und ohne hohen Kragen, Schal oder engen Halsreif zu sehen, womit sie üblicherweise die hässliche rote Narbe verbarg. Und es dauerte noch einige Wochen länger, bis er sie überreden konnte, ihm zu erzählen, woher sie die Verletzung hatte.
Er war in dem Irrglauben gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen würde ihr helfen, ihre Erinnerungen zu bewältigen. Das Gegenteil war geschehen. Es hatte ihren Seelenfrieden erst recht gestört.
Noch heute, gut neun Monate nach ihrer ersten Begegnung, und obwohl er inzwischen wusste, welche körperlichen Bestrafungen Isolde durch Constants Hände hatte erleiden müssen, zuckte Anatole noch immer zusammen, wenn er nur daran dachte, mit welcher Ruhe und Teilnahmslosigkeit sie ihm ihr schlimmstes Martyrium geschildert hatte: In einem Anfall von Eifersucht hatte Constant mit Hilfe einer Feuerzange seinen Siegelring in die Glut im Kamin gehalten und ihr dann das heiße Metall an den Hals gedrückt, bis sie vor Schmerz bewusstlos wurde. Er hatte ihr sein Zeichen eingebrannt. Ihre Schilderung war so anschaulich gewesen, dass Anatole fast meinte, den widerlich süßen Geruch ihres verbrannten Fleisches zu riechen.
Isoldes Liaison mit Constant hatte nur ein paar Wochen gedauert. Gebrochene Finger waren geheilt, die Blutergüsse verblasst. Nur die eine Narbe am Hals war geblieben, als körperliche Erinnerung an die Brutalität, die Constant ihr im Laufe der dreißig Tage angetan hatte. Aber der seelische Schaden würde noch lange auf ihr lasten. Es tat Anatole in der Seele weh, dass Isolde, trotz ihrer Schönheit, trotz ihres liebreizenden Wesens, trotz ihrer Eleganz, jetzt von Furcht gepeinigt wurde, ihren eigenen Wert so gering einschätzte und so ängstlich war.
»Es ist von Dauer«, sagte Anatole mit Nachdruck.
Er ließ seine Hand tiefer gleiten, über den geliebten, vertrauten Körper, bis sie auf der weichen weißen Haut des Oberschenkels liegen blieb.
»Es ist alles vorbereitet. Wir haben die Genehmigung. Morgen sprechen wir mit Lascombes Anwälten in Carcassonne. Sobald wir wissen, wo du stehst, was das Anwesen betrifft, können wir die letzten Vorbereitungen treffen.« Er schnippte mit den Fingern. »Ganz einfach.«
Als er über den Nachttisch griff, spannten sich sichtbar die Muskeln unter seiner nackten Haut. Er nahm sein Etui und die Streichhölzer, zündete zwei Zigaretten an und reichte eine Isolde.
»Einige werden sich weigern, uns zu empfangen«, sagte sie. »Madame Bousquet, Maître Fromilhague.«
»Mag sein«, sagte er achselzuckend. »Aber legst du wirklich so großen Wert auf deren Anerkennung?«
Isolde antwortete nicht. »Madame Bousquet hätte allen Grund, empört zu sein. Wenn Jules nicht auf die Idee gekommen wäre, zu heiraten, hätte sie die Domaine geerbt. Durchaus möglich, dass sie das Testament anfechten wird.«
Anatole schüttelte den Kopf. »Mein Instinkt sagt mir, wenn sie das wirklich vorhätte, hätte sie das gleich nach Lascombes Tod und der Testamentsverlesung getan. Warten wir ab, wie der Testamentsnachtrag lautet, bevor wir uns wegen Einsprüchen, die wir uns am Ende nur einbilden, Sorgen machen.« Er nahm einen tiefen Zug. »Ich gebe zu, dass Maître Fromilhague wohl die Eile unserer Heirat beklagen wird. Er könnte Einwände erheben, obwohl wir nicht blutsverwandt sind, aber was geht ihn das an?« Er zuckte die Achseln. »Mit der Zeit wird er sich schon wieder beruhigen. Im Grunde genommen ist Fromilhague nämlich Pragmatiker. Er wird die guten Beziehungen zum Anwesen nicht abbrechen wollen.«
Isolde nickte, wenngleich Anatole befürchtete, dass sie nicht wirklich überzeugt war, sondern ihm einfach nur gern glauben wollte.
»Bist du noch immer der Meinung, wir sollten hier leben, statt uns in der Anonymität von Paris zu verstecken?«, fragte sie.
Anatole musste daran denken, wie sehr es Isolde jedes Mal mitnahm, wenn sie wieder in der Stadt war. Sie war dann nur noch ein Schatten ihrer selbst. Jeder Geruch, jedes
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