Die achte Karte
das Schreiben aus Carcassonne eingetroffen, auf das ich gewartet habe.«
Anatole hatte sich vor dem Kamin aufgebaut, die Hände auf dem Rücken. »Ich glaube, Isolde hat etwas von einem Konzert gesagt …«
»Dann fahren wir also!« Léonie umarmte ihre Tante und gab ihr einen Kuss. »Das ist ja wunderbar!«
Anatole lachte. »Wir hatten gehofft, dass du dich freust. Es ist natürlich nicht die beste Jahreszeit für eine solche Reise, aber die Umstände wollen es nun einmal so.«
»Wann fahren wir?«, fragte Léonie und schaute von einem zum anderen.
»Wir werden Donnerstagmorgen abreisen. Isolde hat den Anwälten telegrafiert, dass sie um zwei Uhr bei ihnen sein wird.« Er stockte und wechselte wieder einen Blick mit Isolde, der Léonie nicht entging.
Er will mir noch etwas anderes sagen.
Wieder spürte sie ein nervöses Flattern in der Brust.
»Eigentlich wollten wir noch etwas mit dir besprechen. Isolde hat den ungemein großzügigen Vorschlag gemacht, dass wir unseren Aufenthalt hier verlängern sollten. Vielleicht sogar bis ins kommende Jahr hinein. Was würdest du dazu sagen?«
Léonie starrte Anatole erstaunt an. Im ersten Moment wusste sie nicht recht, was sie davon halten sollte. Würde sie der Freuden des Landlebens nicht doch überdrüssig werden, wenn sie länger blieben? »Aber … aber was ist mit deiner Arbeit? Kann die Zeitschrift denn so lange auf dich verzichten? Musst du nicht vor Ort sein?«
»Ach, ich wage zu behaupten, dass die Zeitschrift auch noch ein Weilchen länger ohne mich auskommt«, sagte er leichthin und ließ sich von Isolde eine Tasse Kaffee reichen.
»Und M’man?«, sagte Léonie, die plötzlich das traurige Bild vor Augen hatte, wie ihre schöne Mutter allein im Salon auf der Rue de Berlin saß.
»Wir hatten uns überlegt, dass wir sie vielleicht hierher einladen, falls Du Pont sie entbehren kann.«
Léonie starrte Anatole forschend an.
Er kann doch nicht im Ernst glauben, dass sie sich jemals so weit von Paris entfernt. Geschweige denn, dass sie noch einmal hierherkommt.
»Ich glaube nicht, dass General Du Pont das lieb wäre«, sagte sie als Vorwand für die Ablehnung, auf die eine solche Einladung mit Sicherheit treffen würde.
»Oder langweilt dich meine Gesellschaft vielleicht jetzt schon so sehr, dass du auf keinen Fall länger bleiben möchtest?«, sagte Anatole, trat auf sie zu und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ist der Gedanke, noch ein paar Wochen länger hier eingesperrt mit deinem Bruder zu verbringen, für dich so ein Graus?«
Der Augenblick zog sich in die Länge, angespannt und voller Erwartung, dann kicherte Léonie.
»Sei nicht albern, Anatole! Natürlich wäre ich entzückt, noch länger zu bleiben. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, bloß …«
»Bloß was?«, fragte Anatole sofort.
Das Lächeln wich von ihren Lippen. »Ich wäre froh, etwas von M’man zu hören.«
Anatole stellte seine Tasse ab und zündete sich eine Zigarette an. »Ich auch«, sagte er leise. »Aber ich bin sicher, sie ist einfach noch nicht dazu gekommen uns zu schreiben, weil sie eine so angenehme Zeit verlebt. Und natürlich müssen wir ihr ein bisschen mehr Zeit lassen, bis mein Brief ihr an die Marne nachgesendet wird.«
Ihre Augen wurden schmal. »Ich dachte, du glaubst, sie sind inzwischen bestimmt schon wieder in Paris?«
»Ich habe nur gesagt, dass ich es für möglich halte«, sagte er sanft. Dann hellte sich seine Miene wieder auf. »Aber auf die Reise nach Carcassonne freust du dich?«
»Und wie.«
Er nickte. »Schön. Am Donnerstag nehmen wir den Frühzug von Couiza. Der
courrier publique
fährt um fünf Uhr am Place du Pérou ab.«
»Wie lange bleiben wir?«
»Zwei Tage, vielleicht drei.«
Léonie machte ein langes Gesicht. »Aber das ist doch so gut wie nichts.«
»Für uns lange genug«, sagte er lächelnd.
Und diesmal entging Léonie nicht, dass der Blick, den ihr Bruder und Isolde tauschten, ausgesprochen innig war.
Kapitel 55
∞
D ie Liebenden lagen unter der Bettdecke, die Gesichter nur vom Schein einer einzelnen Kerze erhellt.
»Du solltest zurück auf dein Zimmer«, sagte sie. »Es ist spät.«
Anatole verschränkte die Arme hinter dem Kopf, eine Geste, die deutlich seine Entschlossenheit verriet, noch länger zu bleiben.
»Eben. Alle schlafen.«
Isolde lächelte. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich so glücklich sein könnte«, sagte sie leise. »Dass wir je hier zusammen sein würden.« Dann erstarb das Lächeln
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