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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Tiefen.

Kapitel 68
    M eredith! Meredith. Ist ja gut. Du bist in Sicherheit, alles in Ordnung.«
    Sie erwachte mit einem heftigen Ruck und schnappte nach Luft. Jeder Muskel in ihrem Körper war hellwach, jeder Nerv zitterte. Das Bett war zerwühlt. Ihre Finger waren verkrampft. Einen Moment lang meinte sie, von einer alles verschlingenden Wut erfasst zu werden, als hätte der Zorn des Wesens sich durch ihre Haut in sie hineingefressen.
    »Meredith, ist ja gut! Ich bin bei dir.«
    Sie versuchte sich loszureißen, verwirrt, bis sie allmählich merkte, dass sie warme Haut spürte, dass jemand sie festhielt, um sie zu retten, nicht, um ihr weh zu tun.
    »Hal.«
    Die Anspannung fiel von ihr ab.
    »Du hattest einen Alptraum«, sagte er, »mehr nicht. Es ist alles in Ordnung.«
    »Sie war hier. Sie war hier … und dann … ist es gekommen und …«
    »Schsch, ist ja gut«, sagte er wieder.
    Meredith starrte ihn an. Sie hob eine Hand und zeichnete mit den Fingern die Konturen seines Gesichts nach.
    »Sie ist gekommen … und dann, hinter ihr …«
    »Hier ist niemand außer uns. Bloß ein Alptraum. Jetzt ist alles vorbei.«
    Meredith sah sich im Zimmer um, als erwartete sie jeden Augenblick, dass jemand aus den Schatten trat. Gleichzeitig wusste sie, dass der Traum vorbei war. Langsam ließ sie sich von Hal in die Arme nehmen. Sie spürte seine Wärme und seine Stärke, als er sie schützend an sich zog, fest an seine Brust. Sie spürte die Knochen in ihrem Brustkorb, die sich hoben und senkten, hoben und senkten.
    »Ich hab sie gesehen«, murmelte sie, obwohl sie jetzt nur mit sich sprach, nicht mit Hal.
    »Wen?«, flüsterte er.
    Sie antwortete nicht.
    »Ist ja gut«, wiederholte er sachte. »Schlaf weiter.«
    Er streichelte ihr Haar, strich ihr den Pony aus der Stirn, wie Mary es immer getan hatte, um sie nach einem schlechten Traum zu beruhigen, als sie die erste Zeit bei ihnen wohnte.
    »Sie war hier«, sagte Meredith wieder.
    Nach und nach, unter der stetigen, sanften Bewegung von Hals Hand, wich die Angst. Die Lider wurden ihr schwer, auch die Arme und Beine und der Körper, als die Wärme und das Gefühl in ihn zurückkehrten.
    Vier Uhr morgens.
    Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, und es war stockdunkel. Die Liebenden, die erst dabei waren, einander kennenzulernen, schliefen engumschlungen wieder ein, umhüllt vom Tiefblau des frühen Morgens, bevor der Tag anbricht.

[home]
    Neunter Teil
    Die Lichtung
    Oktober–November 1891

Kapitel 69
    ∞
    Freitag, 23 . Oktober 1891
    A ls Léonie am nächsten Morgen erwachte, galt ihr erster Gedanke Victor Constant, wie ihm auch der letzte gegolten hatte, bevor sie eingeschlafen war.
    Sie sehnte sich nach dem Gefühl frischer Luft auf dem Gesicht, daher kleidete sie sich hastig an und schlüpfte hinaus in den frühen Morgen. Überall waren Spuren des Unwetters vom Vortag zu sehen. Abgebrochene Äste, Laub, das vom Sturmwind aufgewirbelt worden war. Jetzt war alles ganz ruhig und der zartrosa Morgenhimmel klar. Doch in der Ferne über den Pyrenäen kündigte eine düstere graue Wolkenbank bereits das nächste Unwetter an.
    Léonie spazierte einmal um den See, machte kurz Rast auf der kleinen Landzunge mit Blick über das aufgewühlte Wasser und ging dann langsam über den Rasen zurück zum Haus. Tau glitzerte am Saum ihrer Röcke, und im nassen Gras hinterließen ihre Schritte kaum eine Spur.
    Sie ging ums Haus herum zum Vordereingang, den sie unverriegelt gelassen hatte, als sie hinausgeschlichen war, und trat in die Halle. Sie trat sich die Schuhe an der groben Fußmatte ab. Dann schob sie sich die Kapuze vom Kopf, löste den Verschluss und hängte ihren Umhang wieder an den Metallhaken, von dem sie ihn zuvor genommen hatte.
    Als sie über die roten und schwarzen Fliesen zum Speisezimmer ging, ertappte sie sich selbst dabei, dass sie hoffte, Anatole möge noch nicht zum Frühstück nach unten gekommen sein. Sie machte sich zwar Sorgen um Isoldes Gesundheit, aber sie schmollte auch noch immer ob ihrer überstürzten und vorzeitigen Abreise aus Carcassonne am Tag zuvor, und sie hatte keine Lust, sich ihrem Bruder gegenüber höflich verhalten zu müssen.
    Aber als sie die Tür öffnete, war niemand da außer dem Hausmädchen, das gerade die rot-blau gemusterte Kaffeekanne auf den Metalluntersetzer in der Mitte des Tischs stellte.
    Marieta machte einen flüchtigen Knicks. »Madomaisèla.«
    »Guten Morgen.«
    Léonie ging zu ihrem Stammplatz an der

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