Die achte Karte
und dass er deshalb die großen Arkana entweder malen ließ oder sie in Stil und Art der erhaltenen Karten kopierte.«
»Aber wenn er doch keine Vorlage zum Kopieren hatte?«
Laura zuckte die Achseln. »Vielleicht von erhaltenen Fragmenten dieser Karten oder vielleicht auch von Illustrationen des Originaldecks in einem Buch. Wie gesagt, ich bin da keine Expertin.«
Meredith schaute nach unten auf die grünen, gold- und silberdurchwirkten Kartenrücken. »Da hat jemand gute Arbeit geleistet.«
Laura fächerte den kompletten Satz Pentakel auf und legte ihn vor Meredith auf den Tisch, mit dem As am Anfang und dem König am Ende. Dann legte sie ein paar Karten der großen Arkana dazu.
»Sehen Sie den Unterschied zwischen den beiden Stilen?«
Meredith nickte. »Klar, aber sie sind auch recht ähnlich, vor allem farblich.«
Laura tippte auf eine Karte. »Hier haben wir noch einen Unterschied, den es nur im Bousquet-Tarot gibt. Nicht nur, dass die Namen der Hofkarten geändert wurden – König und Königin werden beispielsweise zu Maître und Maîtresse –, auch die großen Arkana weisen einige ganz persönliche Merkmale auf. Zum Beispiel die Karte hier, Karte II , ist normalerweise die Hohepriesterin. Hier heißt sie La Prêtresse. Dieselbe Figur taucht hier in Karte VI , Les Amoureux, als eine der Liebenden auf. Und auch hier auf Karte XV , Le Diable, da ist dieselbe Frau zu Füßen des Dämons angekettet.«
»Und das ist ungewöhnlich?«
»In vielen Tarots gibt es einen Zusammenhang zwischen den Karten VI und XV , aber nicht auch noch mit der II .«
»Dann hat sich also irgendwer«, sagte Meredith langsam und nachdenklich, »entweder aus eigenem Antrieb oder auf Anweisung, große Mühe gemacht, diese Karten zu personalisieren.«
Laura nickte. »Ich habe mich schon manchmal gefragt, ob die großen Arkana von diesem Tarot nicht sogar auf realen Personen basieren. Die Mimik auf manchen Gesichtern wirkt so lebensecht.«
Meredith betrachtete das Bild von La Justice vorne auf der Broschüre.
Ihr Gesicht ist mein Gesicht.
Sie sah Laura über den Tisch hinweg an und hatte plötzlich den Impuls, ihr von der persönlichen Suche zu erzählen, die sie nach Frankreich geführt hatte. Ihr zu erklären, dass sie in wenigen Stunden nach Rennes-les-Bains reisen würde. Aber Laura sprach schon weiter, und der Augenblick war vorüber.
»Das Bousquet-Tarot berücksichtigt auch traditionelle Assoziationen. Schwerter sind beispielsweise die Farbe der Luft und repräsentieren Intelligenz und Intellekt, die Stäbe stehen für Feuer, Energie und Konflikt, Kelche werden mit Wasser und den Gefühlen in Verbindung gebracht. Und die Pentakel schließlich« – sie tippte auf die Karte des Königs, der auf seinem Thron saß und von Goldmünzen ähnelnden Gebilden umgeben war – »sind die Farbe der Erde, der materiellen Wirklichkeit, des Reichtums.«
Meredith betrachtete die Bilder mit großer Konzentration, als wollte sie sich alle einprägen, dann signalisierte sie Laura mit einem Nicken, dass sie fortfahren konnte.
Laura schob die Karten zusammen, ließ nur die großen Arkana auf dem Tisch liegen, die sie in drei Reihen à sieben Karten zu Meredith gewandt auslegte, von der niedrigsten Zahl bis zur höchsten. Le Mat, die Karte 0 , den Narren ohne Zahl, legte sie für sich allein darüber.
»Ich betrachte die großen Arkana gern im Sinn einer Reise«, sagte Laura. »Sie sind die Unwägbarkeiten, die großen Themen des Lebens, die sich nicht verändern oder bekämpfen lassen. Wenn sie so ausgelegt werden, ist offensichtlich, dass diese drei Reihen die drei verschiedenen Ebenen der Entwicklung repräsentieren – Bewusstsein, Unterbewusstsein und das höhere Bewusstsein.«
Meredith merkte, wie ihre Skepsis erwachte.
Ab hier wird es spekulativ.
»Am Anfang jeder Reihe ist ein kraftvolles Bild: Le Pagad, der Magier, eröffnet die erste Reihe, La Force die zweite. Und am Anfang der dritten Reihe haben wir schließlich die Karte XV , Le Diable.«
Etwas rührte sich in Meredith, als sie das Bild des gekrümmten Dämons betrachtete. Sie blickte auf die Gesichter des Mannes und der Frau, die zu Füßen des Teufels angekettet waren, und für einen Moment glimmte so etwas wie Wiedererkennen in ihr auf. Dann erlosch es wieder.
»Die großen Arkana so auszulegen hat den Vorteil, dass nicht nur die Reise des Narren – Le Mat – von Unwissenheit zur Erleuchtung illustriert wird, sondern auch die vertikalen Verbindungen
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