Die achte Offenbarung
lebten in einem Paralleluniversum, in dem die Botschaft nicht in die Vergangenheit geschickt und daher die Katastrophe nicht verhindert worden war.
War es denkbar, dass sie trotzdem seinen Namen kannten, vielleicht aus einer seiner Veröffentlichungen? Hatten sie vorausgesehen, auf welchem Weg das Manuskript in seine Hände gelangen würde? Nein, das war ausgeschlossen. Viel zu viele Unwägbarkeiten lagen auf dem Weg des Manuskripts durch die Jahrhunderte.
Aber wenn sie nicht hatten wissen können, dass jemand mit dem Vornamen eines Apostels das Manuskript entschlüsseln würde, warum hatten sie dann diesen merkwürdigen Hinweis in ihre Botschaft eingefügt? Das ergab keinen Sinn!
Es sei denn …
Übelkeit stieg in ihm auf, und kalter Schweiß brach aus allen Poren. »O mein Gott!«, entfuhr es ihm.
»Was ist?«, fragte Mele. »Was hast du?«
Er barg das Gesicht in den Händen, als könne er damit die Wahrheit aussperren, die unbarmherzig in sein Bewusstsein drängte. Er stöhnte unwillkürlich, wie vor Schmerzen. »Wir … wir haben einen schrecklichen Fehler gemacht!«
Mele war jetzt alarmiert. »Was denn für einen Fehler? Meinst du … meinst du etwa, dass wir miteinander …«
Er sah sie an. »Nein, natürlich nicht. Aber das Manuskript …«
»Was ist damit?«
Es kostete ihn Überwindung, es auszusprechen. »Es … es ist eine Fälschung!«
»Eine Fälschung? Wie kommst du denn darauf?«
Jetzt, wo er die Wahrheit über die Lippen gebracht hatte, drängten die Wörter geradezu aus ihm heraus. »Du hast es gerade selber gesagt: Wenn das Manuskript tatsächlich aus der Zukunft stammte – aus einer parallelen Zukunft –, dann hätte dieser Satz dort nicht dringestanden. Sie hätten nicht wissen können, wer die Botschaft empfängt oder ob sie überhaupt rechtzeitig entschlüsselt wird.«
»Aber … aber alles, was in den Buch stand, stimmte doch! Sogar der Anschlag in Lourdes. Den hätte doch niemand voraussehen können!«
»Es sei denn, derjenige, der das Manuskript geschrieben hat, wusste vorher, dass der Anschlag stattfinden würde.«
»Du meinst, diese Terroristen haben das Buch selbst geschrieben? Die haben den Anschlag durchgeführt, nur damit wir denken, das Manuskript ist echt?«
»Sie haben uns benutzt wie Marionetten. Und wir sind ihnen auf den Leim gegangen!« Paulus stand auf und begann, sich anzuziehen. Der Boden schien unter seinen Füßen leicht zu schwanken.
Mele folgte seinem Beispiel. »Aber warum? Was soll das alles?«
»Ich weiß es nicht. Aber es gibt sicher genug Hardliner in Amerika, die es gut fänden, wenn Teheran dem Erdboden gleichgemacht wird.« Er stockte, als er sich die erste Begegnung mit Lieberman ins Gedächtnis rief, dann das Gespräch beim Abendessen im Atlantic. »Dieser Lieberman muss einer von ihnen gewesen sein. Er hat mich gezielt angesprochen. Die wussten, dass ich das Manuskript entziffern konnte. Sie haben es extra so verschlüsselt, dass meine Kenntnisse genau richtig dafür waren. Deshalb haben sie den Text auch in Frühneuhochdeutsch verfasst. Und dieseGeschichte von meiner Großmutter …« Ihm wurde übel, als ihm das ganze Ausmaß und die Niedertracht des Lügengebildes bewusst wurden. »Die müssen lange gesucht haben, bis sie einen geeigneten Trottel gefunden haben, der die nötigen Kenntnisse hatte und eine Familiengeschichte, die man ausnutzen konnte.« Paulus lachte bitter. »Du hattest von Anfang an recht: Ich bin der Auserwählte!«
»Du meinst, all diese Rätsel, die Orte, die wir aufsuchen mussten, das war alles von denen so geplant? Nur, damit wir denken, das Manuskript sei echt?«
»Exakt. Auch die Verfolgung durch die Terroristen war bloß inszeniert. Im Nachhinein betrachtet ergibt das alles einen Sinn. Wir sind denen ein paar Mal ziemlich knapp entkommen – weil sie uns entkommen lassen wollten!«
»Aber warum? Hätte es nicht gereicht, dir einfach nur das Manuskript in die Hände zu spielen?«
»Nein. Sie mussten die Bedrohung inszenieren, damit wir rasch handeln – und keine Zeit zum Nachdenken haben. Sie haben uns kreuz und quer durch Deutschland gehetzt, so dass wir am Ende gezwungen waren, genau das zu tun, was sie wollten: das Manuskript in der US-Botschaft abliefern – auf eine Weise, die keinerlei Verdacht einer Fälschung weckt. Wir waren dafür genau die richtigen Boten: zwei unbescholtene deutsche Bürger, die zufällig in eine Sache gestolpert sind, die ihnen ein paar Hutnummern zu groß ist.«
»Und die Sache
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