Die achte Offenbarung
denkbar, dass sie Verstärkung heranschaffen konnten. Je eher Mele und er aus der Gegend verschwanden, desto besser.
Links befanden sich weitere Wohnblocks. Eine der Hintertüren stand offen. Paulus rannte hinein, schloss die Tür hinter Mele und trat auf der anderen Seite aus dem Haus. Sie befanden sich jetzt in der Gustav-Falke-Straße, einer Parallelstraße zum Grindelberg. Links mündete die Helene-Lange-Straße ein. Nach rechts führte die Straße auf die Schlankreye. Wenn sie ihr folgten, würden sie in ein paar hundert Metern den U-Bahnhof Hoheluftbrücke erreichen. Doch das erschien Paulus zu riskant – gut möglich, dass ihre Verfolger dort jemanden postiert hatten. Also überquerten sie die Straße und rannten über einen Schulhof auf der anderen Seite.
Als er einigermaßen sicher war, die Verfolger vorerst abgeschüttelt zu haben, blieb Paulus stehen. Er blickte an sich herab. Er trug Jeans und ein Polohemd, die er heute Morgen frisch aus dem Schrank genommen hatte, dazu braune Slipper. War es denkbar, dass die Unbekannten irgendwie Peilsender in seiner Kleidung versteckt hatten? Das erschien ihm unwahrscheinlich. »Hast du ein Handy dabei?«, fragte er Mele.
Sie nickte. »Mein Vater hat mir seins gegeben.«
»Nimm die SIM-Karte heraus.«
»Warum das denn?«
»Wir wissen nicht, mit wem wir es hier zu tun haben. Vielleicht ist der amerikanische Geheimdienst selber in die Sache verwickelt. Es ist denkbar, dass sie dich über das Mobilfunknetz orten können.«
Nachdem Mele seine Anweisung befolgt hatte, liefen sie weiter durch das Wohngebiet, bis sie eine kleine Bäckerei mit einem angeschlossenen Café erreichten.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte die junge Verkäuferin.
»Rufen Sie uns bitte ein Taxi«, bat Paulus.
Das Taxi kam wenige Minuten später, ohne dass Paulus Anzeichen ihrer Verfolger ausmachen konnte.
»Wohin möchten Sie?«, fragte der Fahrer.
Paulus überlegte einen Moment. »Zum Bahnhof nach Harburg, bitte.«
43.
Hamburg-Harburg, Montag 18:41 Uhr
Paulus bezahlte das Taxi und betrat mit Mele das Bahnhofsgebäude. Vor den Anzeigetafeln blieben sie unschlüssig stehen.
»Und jetzt?«, fragte Mele.
»Wir müssen unbedingt noch mal mit diesem Mr. Ferry sprechen. Es ist wohl am besten, wenn wir nach Berlin fahren. Möglicherweise rechnen sie damit und lauern uns am Hauptbahnhof auf, deshalb fand ich es besser, den Umweg über Harburg zu nehmen.«
»Meinst du etwa, die haben hier auch jemanden postiert?« Sie sah sich erschrocken um. »Die können doch nicht jeden Bahnhof überwachen, oder?«
Paulus zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich nicht. Aber ich fürchte, sie werden auf jeden Fall Leute in Berlin postieren. Falls sie uns erwischen, bevor wir die Botschaft erreichen, werden sie es so aussehen lassen, als hätten uns die Islamisten als Rache für unseren Verrat umgebracht.«
»Können wir Ferry nicht einfach anrufen?«
Paulus zuckte mit den Schultern. »Ich habe auch schon daran gedacht. Allerdings dürfte es nicht so einfach sein, ihn ans Telefon zu bekommen.« Er sah auf die Uhr. »Schon gar nicht jetzt, um kurz vor sieben.«
»Wollen wir es nicht wenigstens probieren?«
»Okay. Aber das Handy sollten wir lieber nicht benutzen.« Unweit des Bahnhofs fanden sie einen schmuddeligen Call Shop, von dem aus man billige Auslandstelefonate führen konnte. Paulus rief die Auskunft an und bat darum, ihn direkt mit der US-Botschaft in Berlin zu verbinden.
»Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, mein Name ist Nancy Delago, was kann ich für Sie tun?«, fragte eine freundliche Stimme mit leichtem amerikanischem Akzent.
»Mein Name ist Paulus Brenner. Ich war letzten Freitag in der Botschaft und habe mit John Ferry gesprochen. Ich habe eine wichtige Mitteilung für ihn.«
»Es tut mir leid, aber Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an. Bitte versuchen Sie es morgen nach acht Uhr noch einmal.«
»Aber es ist sehr dringend! Können Sie mich vielleicht mit seinem Handy verbinden?«
»Das ist leider nicht möglich. Bitte rufen Sie morgen noch einmal an.«
Paulus versuchte, sie davon zu überzeugen, dass seine Informationen für die nationale Sicherheit der USA relevant seien. Die Frau blieb stur. Sie könne leider nichts für ihn tun, er solle sich im Notfall an die deutschen Behörden wenden.
Schließlich legte er frustriert auf. Langsam dämmerte es ihm, dass die Maschinerie der Bürokratie, wenn sie sich einmal in Bewegung gesetzt hatte, kaum zu stoppen
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