Die achte Offenbarung
sagte Paulus. »Die Sache mit dem Manuskript ist bei Licht betrachtet so absurd, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie wir darauf reinfallen konnten. Die Geheimdienstleute sind bestimmt nicht so naiv.«
»Aber warum sind diese Typen dann immer noch hinter uns her?«
»Das sind eben irgendwelche Irren, die glauben, ihr Plan wird funktionieren. Aber das wird er nicht.«
Mele rührte nachdenklich in ihrem Müsli. »Ich weiß nicht. Denk mal an den letzten Irakkrieg. Damals waren die Hinweise auf die Massenvernichtungswaffen, die Saddam angeblich hatte, genauso falsch. Manchmal kommt es nicht darauf an, wie überzeugend die Argumente sind, sondern, wie sehr man sie glauben möchte.«
Paulus dachte darüber nach. Mele hatte recht – Kriege waren oft genug unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand angezettelt worden. Eigentlich immer, wenn man es genau betrachtete. Kaum jemand zog in den Krieg mit der Begründung, er wolle sich an den Schätzen seines Nachbarn bereichern oder seine Machtposition in der Region ausbauen. Stets ging es um höhere Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Verteidigung gegen eine angebliche Aggressiondes Feindes oder gar um einen göttlichen Auftrag.
Seit der letzten Wahl saß ein stockkonservativer Präsident im Weißen Haus. Ein Mann, der als streng religiös galt und sogar einen ehemaligen Wanderprediger zum Stabschef des Weißen Hauses gemacht hatte. Bevor er Präsident wurde, war er Gouverneur im Mittleren Westen gewesen, in einem Staat des sogenannten Bible Belt, in dem besonders viele gläubige Christen unter den Wählern waren. Eine der ersten Amtshandlungen der von ihm ernannten Bildungsministerin war es gewesen, Darwins Evolutionstheorie aus dem Biologieunterricht zu verbannen. Das ließ nichts Gutes für die Zukunft der USA als Wissenschaftsstandort erahnen und hatte der Regierung heftige Kritik der Liberalen und der geistigen Elite des Landes eingebracht. Seit seinem Amtsantritt hatten sich die internationalen Beziehungen der USA besonders zu China und den arabischen Ländern deutlich abgekühlt. Die deutsche Presse ließ kaum ein gutes Haar an ihm.
All das bedeutete natürlich noch lange nicht, dass der Präsident eine aggressive Nahostpolitik verfolgte oder gar einen Angriffskrieg gegen den Iran befürwortete. Wenn er allerdings glauben sollte, ein Zeichen von Gott erhalten zu haben …
Paulus dachte an die Kreuzzüge, die so viel Leid über Europa und den Nahen Osten gebracht hatten und immer noch zu den Spannungen zwischen Christentum und Islam beitrugen. »Gott will es!«, hatten die Kreuzfahrer gerufen. Im blinden Glauben an den heiligen Zweck ihrer Mission hatten sie bei der ersten Eroberung Jerusalems auf äußerst brutale Weise Frauen, Kinder und Greise abgeschlachtet.
War solch ein absurdes Verständnis göttlicher Gerechtigkeitheute immer noch denkbar? In einem hoch entwickelten Industrieland wie den USA?
Paulus stand auf, holte sich eine der Tageszeitungen, die neben dem Buffet lagen, und blätterte sie durch.
Eine kleine Meldung auf der fünften Seite erregte seine Aufmerksamkeit:
Verteidigungsminister Johnson bricht Europareise ab
Washington. Wie das US -Verteidigungsministerium mitteilte, wird Verteidigungsminister Johnson seine aktuelle Europareise vorzeitig beenden und bereits am heutigen Dienstag nach Washington zurückkehren. Als Ursache gab das Ministerium »persönliche Gründe« an. Der Minister selbst stand für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Ursprünglich hatte Johnson, der gestern an einer Sitzung des NATO -Rats in Brüssel teilgenommen hatte, heute mit seinem italienischen Amtskollegen Colieri zusammentreffen und danach in die Türkei weiterreisen sollen. Die italienische Regierung bedauerte die Absage, äußerte jedoch Verständnis. Man sei sicher, der Minister werde seinen Besuch in Kürze nachholen.
Paulus legte die Zeitung nachdenklich beiseite. Seine gute Laune war verflogen.
»Was hast du?«, fragte Mele, der sein Stimmungswechsel nicht entgangen war.
Paulus reichte ihr die Zeitung. »Lies mal.«
»Na und? Was ist denn so schlimm, wenn der Verteidigungsminister eine Auslandsreise abbricht? So was kommt doch dauernd vor.«
»Vielleicht. Trotzdem finde ich es beunruhigend. Es kann Zufall sein, aber falls die tatsächlich einen Angriff planen, ist es nur logisch, dass der Verteidigungsministerim eigenen Land ist, um die Aktion persönlich zu koordinieren.«
»Also passiert es vielleicht doch.«
Paulus nickte. »Ich habe keinen
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