Die achte Offenbarung
einmündete, stand ein Mann mit hellblauem Hemd und Khakihosen. Es war eindeutig derselbe, der sie vorgestern in Heidelberg verfolgt hatte. Er hielt ein Handy am Ohr. Da ereine dunkle Sonnenbrille trug, konnte Paulus nicht sehen, in welche Richtung er blickte.
Paulus erstarrte. Erst nach einer Sekunde wurde ihm bewusst, dass er nicht zögern durfte, wenn er seine Tarnung nicht gefährden wollte. Er wandte sich nach rechts und zog Mele mit sich.
»Was ist?«, fragte sie. »Wollen wir nicht zurück zum Auto?«
»Dreh dich nicht um«, sagte Paulus. »Sie sind hier.«
Als sie die Ecke des Doms umrundet hatten, presste er sich an die Wand und spähte auf den Platz.
Der Mann hatte sich in Bewegung gesetzt und kam mit zügigen Schritten auf sie zu.
»Lauf!«, rief Paulus und sprintete los.
Sie rannten die Nordflanke der gewaltigen Kathedrale entlang Richtung Osten. Hinter dem Dom erstreckte sich ein weitläufiger Park. Vielleicht konnten sie ihren Verfolger dort abschütteln.
Sie hetzten über eine Wiese und durch ein Tor in einer Steinmauer, die der Rest einer mittelalterlichen Umfriedung des Doms zu sein schien. Direkt hinter dem Tor befand sich eine Mauer, die gut vier Meter senkrecht abfiel. Paulus überlegte kurz, ob sie dort herunterspringen sollten, doch die Gefahr, sich dabei einen Fuß zu verstauchen oder gar ein Bein zu brechen, war zu groß.
Stattdessen wandten sie sich nach links. Mele hechtete in ein dichtes Gebüsch am Rand des Weges. Paulus erschien das nicht gerade wie ein sicheres Versteck, doch es blieb keine Zeit zu diskutieren. Er kauerte sich zu ihr in den dürftigen Sichtschutz der Büsche.
Sekunden später erschien ihr Verfolger. Er rannte durch das Tor, blieb an der Mauer stehen und blickte über den terrassenartig angelegten Park. Immer noch hielt er dasHandy am Ohr und sprach hinein. Paulus hörte Worte in einer kehligen Sprache, die er nicht verstand. War das Arabisch? Hebräisch? Oder etwas ganz anderes?
Der Mann sah sich suchend um. Paulus hielt den Atem an. Er war sich sicher, dass sie in dem Gebüsch leicht zu erkennen waren. Doch der Blick des Mannes traf sie nicht. Er rannte nach rechts.
Als er außer Sichtweite war, wollte Paulus aufstehen und zurück auf den Domplatz eilen, in Richtung ihres Autos. Mele hielt ihn jedoch zurück. »Warte noch«, flüsterte sie.
Paulus war sich nicht sicher, ob es weibliche Intuition war oder einfach nur Glück, aber nach etwa zwei Minuten erschien der Araber. Er blieb vor dem Tor stehen und rief etwas. Kurz darauf kam der Mann im hellblauen Hemd zurück. Sie standen dort, keine zehn Meter von Paulus und Mele entfernt, und unterhielten sich gestikulierend. Ihrem Tonfall nach zu urteilen stritten sie darüber, was jetzt zu tun sei. Schließlich verschwanden sie gemeinsam in Richtung Domplatz.
»Komm«, sagte Paulus, nachdem er weitere zwei Minuten abgewartet hatte. Sie durchquerten den Park Richtung Osten, wobei sie sich bemühten, im Sichtschutz von Bäumen und Büschen zu bleiben.
Nach ein paar hundert Metern erreichten sie das Rheinufer.
»Und jetzt?«, fragte Mele.
Paulus sah sich um. Nicht weit entfernt entdeckte er einen Biergarten. »Hast du Hunger?«
»Du willst jetzt was essen gehen?«
»Warum nicht? Je mehr Zeit wir verstreichen lassen, bevor wir zu unserem Wagen zurückkehren, umso besser.«
»Na gut, vielleicht hast du recht. Hunger hab ich schon.«
Wegen des durchwachsenen Wetters war der Biergarten nur mäßig besucht. Sie setzten sich in den Schutz einer alten Kastanie. Paulus bestellte ein Mineralwasser und einen Wurstsalat, Mele einen Salatteller und ein Glas Rotwein. Sie blickten hinaus auf den Rhein, der träge vor ihnen dahinfloss, als ginge ihn all die Aufregung an seinen Ufern nichts an.
Allmählich löste sich Paulus’ Anspannung. Sie waren ihren Verfolgern wieder einmal entwischt. Aber wie lange würde das noch so weitergehen? Und was würde geschehen, wenn diese Leute ihnen doch noch auf die Spur kamen? Er dachte lieber nicht darüber nach.
»Es ist schön hier«, stellte Mele fest.
»Ja.«
»Wir können ja noch mal wiederkommen, wenn all das vorbei ist.«
Paulus warf ihr einen Blick zu. Wie meinte sie das? Doch ihr Gesicht blieb undurchsichtig. Nur ein leichtes, fast spöttisches Lächeln lag auf ihren Lippen. Spielte sie nur mit ihm?
Ihm wurde bewusst, dass er etwas antworten sollte. Er zögerte einen Moment, dann sagte er: »Ja, das wäre schön.«
Ihr Lächeln wurde breiter.
»Was, meinst du, macht
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