Die Achte Suende
sich ruhig schon mal um«, schallte die Stimme der Marchesa aus der Küche. »Deswegen sind Sie ja gekommen!«
Neugierig trat Malberg an das der Fensterfront gegenüberliegende Regal und zog einen braunen Kalbsledereinband hervor. Er schlug die erste und die letzte Seite auf und nickte anerkennend. Dann nahm er ein zweites Buch mit dem gleichen Einband aus dem Regal und verfuhr ebenso, schließlich ein drittes und ein viertes.
»Ich nehme an, Sie wissen, was Sie da haben«, bemerkte Malberg, als die Marchesa mit einem silbernen Tablett zurückkam und zwei Tassen Kaffee auf dem schwarzen Tisch abstellte.
Lorenza ließ sich auf dem Sofa nieder und registrierte die andächtige Haltung, mit der Malberg einen Folianten in Händen hielt. »Ehrlich gesagt – nein«, erwiderte sie, »ich weiß nur, dass der Marchese ein Vermögen dafür ausgegeben hat. Leider verstehe ich nichts von alten Büchern, und ich bin gezwungen, mich einem Experten wie Ihnen anzuvertrauen.«
Malberg hob das schwergewichtige Buch mit beiden Händen wie eine Trophäe in die Höhe.
»Dies ist der vierte Band einer Koberger-Bibel, eine Inkunabel aus dem Jahre 1483 und eine Rarität ersten Ranges. Aber das Besondere ist in diesem Fall, dass auch die ersten drei Bände vorhanden sind. Ein solcher Fund ist äußerst selten und hat natürlich seinen Preis.« Er schlug die letzte Seite des Buches auf und zeigte mit dem Finger auf den letzten Absatz.
»Sehen Sie hier, der Kolophon!«
»Kolophon?«
»Der Eintrag des Druckers. Im fünfzehnten Jahrhundert, als die Druckkunst noch in den Kinderschuhen steckte, hielt jeder Drucker den Tag der Vollendung eines Buches mit einem kurzen Eintrag auf der letzten Seite fest, vergleichbar mit der Signatur auf einem Gemälde. Hier sehen Sie:
Explicit Biblia Anthonij Koberger anno salutis M.CCCC.LXXXIII.V. Decembris
– also: diese Bibel vollendete Anton Koberger im Jahre des Heils 1483 am 5. Dezember.«
»Interessant«, staunte die Marchesa. »Ich gebe zu, ich habe mich für die alten Bücher meines Mannes nie interessiert. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sie sogar gehasst.«
Malberg setzte sich zu ihr an den Tisch.
»Gehasst? Wie kann man Bücher hassen?«
»Das will ich Ihnen sagen, Signore!« Die dunklen Augen der Marchesa funkelten zornig. »Die Sammelleidenschaft meines Mannes überstieg deutlich seine finanziellen Möglichkeiten. Um seiner Bücherleidenschaft frönen zu können, entwickelte er eine zweite Leidenschaft, er wurde zum Spieler. Die Casinos von Baden-Baden, Wien und Monte Carlo wurden sein Zuhause. Bisweilen gewann er sogar hohe Summen, aber eines Tages überraschte er mich mit der Erkenntnis, dass wir bankrott waren. Drei Wochen später war der Marchese tot. Herzinfarkt.«
»Das tut mir leid, Marchesa.«
»Marchesa, Marchesa!«, brauste Lorenza Falconieri auf. »Glauben Sie mir, Signore. Dieser lächerliche Adelstitel ist für mich eher eine Peinlichkeit, ein Schimpfwort. Sie sehen ja, in welchem Zustand sich das Haus befindet. Für eine Restaurierung fehlt mir das Geld. Die Mieter sind bereits ausgezogen. Und für so ein heruntergekommenes Gebäude einen Käufer zu finden ist beinahe unmöglich. Das ist die traurige Hinterlassenschaft des Marchese. Nennen Sie mich Lorenza.«
»Angenehm«, stotterte Malberg verlegen. »Ich heiße Lukas.«
»Lukas?« Die Marchesa hatte die Angewohnheit, in einem Tonfall zu sprechen, dass man meinen konnte, sie mache sich über einen lustig. Das verunsicherte Malberg.
»Also gut, Lukas. Was bieten Sie für die Koberger-Bibel?«
»Schwer zu sagen …«
»Wie viel?« Lorenza blieb unnachgiebig.
»Es ist so«, wand sich Malberg, »die Bibel ist nicht paginiert, die einzelnen Buchseiten sind also nicht durchnummeriert. Ich müsste erst prüfen, ob die vier Bände komplett sind. Wenn das der Fall ist, biete ich Ihnen zwanzigtausend Euro.«
Lorenza sah Lukas prüfend an.
»Das ist kein schlechter Preis«, beteuerte Malberg. »Im Übrigen interessieren mich natürlich auch die anderen Bücher.«
»Ich vertraue Ihnen. Jedenfalls sagte Marlene, ich könne Ihnen blind vertrauen.« Lorenzas Miene verdüsterte sich: »Wie konnte das nur passieren … Es ist schrecklich.« Malberg nickte betreten. »Sie glauben immer noch an einen Unfall?«
»Sie nicht? Was macht Sie so sicher?« Die Marchesa warf Malberg einen vorwurfsvollen Blick zu.
Unwillkürlich fasste er an seine Brusttasche, in der er Marlenes Notizbuch immer noch hatte. Es wäre leichtsinnig gewesen,
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