Die Achte Suende
sich einer fremden Marchesa anzuvertrauen. Er hob die Schultern. Schließlich fragte er: »Wie haben Sie eigentlich von Marlenes Tod erfahren?«
»Von der Polizei. Meine Nummer war in Marlenes Telefon gespeichert. Ein Commissario sagte, man habe Marlene tot in der Badewanne gefunden. Ob ich bereit sei, Angaben zu ihrer Person zu machen. Ich war völlig fertig, und der Commissario stellte mir ein paar harmlose Fragen. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe. Er gab mir seine Nummer, falls mir noch etwas einfiele, das zur Klärung des Falles beitragen könne.«
»Und? Ist Ihnen noch etwas eingefallen?«
Lorenza schüttelte den Kopf. Dann stand sie auf und trat ans Fenster. Sie wollte nicht, dass Malberg die Tränen in ihren Augen sah.
Malberg rutschte unbehaglich in seinem Sessel herum. Er hätte gerne etwas Tröstliches gesagt, wusste aber nicht, was. Schließlich stand er auf.
»Darf ich mich dann weiter umsehen?«, fragte er verlegen.
»Ja natürlich«, erwiderte Lorenza und verschwand.
Der Anblick der kostbaren Bücher, die sich durchweg in hervorragendem Zustand befanden, ließ Malberg vorübergehend Marlenes schreckliches Schicksal vergessen. Bald wurde ihm klar, dass die komplette Sammlung seinen Einkaufsetat bei Weitem übersteigen würde.
Allein die
Schedelsche Weltchronik,
ein Foliant des Nürnberger Doktors und Geschichtsschreibers Hartmann Schedel aus dem Jahre 1493, war so viel wert wie ein respektabler Mittelklassewagen. Das Buch enthielt mehr als tausend Holzschnitte aller bedeutenden Städte des Mittelalters. Sammler gaben dafür ein Vermögen aus.
In fieberhafte Unruhe versetzte den Antiquar ein eher unscheinbares Buch im Quartformat. Es dauerte eine Weile, bis Malberg begriff, dass es sich dabei um jene legendäre Ausgabe der Komödien des Terentius handelte, hinter der Sammler und Antiquare aus aller Welt seit einem halben Jahrhundert her waren. In dem Buch aus dem Jahre 1519 hatte der Reformator Philipp Melanchthon handschriftliche Korrekturen für eine Neuausgabe hinterlassen. Seit Melanchthons Zeiten waren die Besitzer dieses Buches lückenlos dokumentiert. In seiner halbtausendjährigen Geschichte gelangte das Buch von Deutschland nach England. Dort erwarb es ein jüdischer Sammler auf einer Auktion und brachte es im neunzehnten Jahrhundert zurück nach Deutschland. Auf der Flucht vor den Nazis schmuggelte es dieser Sammler unter dem Mantel versteckt nach New York, wo er es, der Not gehorchend, einem Sammler aus Florida veräußerte. Dessen Erben boten es irgendwann zum Verkauf an. Aber noch bevor die Branche davon Wind bekam, hatte die bibliophile Kostbarkeit einen neuen Besitzer gefunden. Einen Europäer hieß es. Mehr war nicht herauszubekommen.
Malberg sah, wie seine Hände zitterten. Spontan wollte er der Marchesa eröffnen, welchen Schatz sie hier aufbewahrte. Aber schon im nächsten Augenblick wurde ihm bewusst, dass er sich, wollte er das Buch erwerben, damit nur selbst schaden würde. Gewiss, Schweigen war in dieser Situation höchst unmoralisch. Aber lebten sie nicht alle in einer höchst unmoralischen Welt? Einer Welt, in der der Schlauere den Unwissenden betrog?
Als Antiquar lebte er schließlich davon, Bücher günstig einzukaufen und sie mit Gewinn weiterzuverkaufen. Sollte er der Marchesa ein Angebot machen? In welcher Höhe? Zehntausend Euro? Zwanzigtausend Euro? Gewiss würde sie dem Handel sofort zustimmen. Er könnte einen Scheck ausstellen. Der Deal wäre perfekt. Und er hätte das Geschäft seines Lebens gemacht.
»Noch einen Kaffee?«
Malberg fuhr zusammen. Er war so in Gedanken, dass er Lorenza gar nicht bemerkt hatte.
Entschuldigen Sie, wie ich sehe, gehen Sie völlig in Ihrem Beruf auf.«
Malberg quälte sich ein Lächeln ab und sah zu, wie die Marchesa Kaffee nachschenkte. »Wirklich beachtenswert, diese Sammlung«, bemerkte er – nur um etwas zu sagen. »Wirklich beachtenswert.«
Der schrille Ton der Türklingel erlöste Malberg aus seiner Ratlosigkeit.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Lorenza verschwand nach draußen.
Mit einem Ohr vernahm Malberg ein aufgeregtes Türgespräch mit einem Mann mit einer hohen Fistelstimme, das ihn nicht weiter interessierte. Wie benommen stellte er das kostbare Buch an seinen Platz zurück. Wie sollte er sich verhalten?
Versonnen blickte er auf die Tür, welche, von Büchern eingerahmt, linker Hand in einen anderen Raum führte. Ohne Hintergedanken öffnete er die Tür, während Lorenza noch mit dem
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