Die Achte Suende
»Und die Namen dahinter?«, wollte sie wissen.
»Das sind Propheten des Alten Testaments.«
»Mit anderen Worten«, begann Caterina, die den Zusammenhang sofort erfasste.
»Die Personen, mit denen sich Marlene offensichtlich getroffen hat, müssen etwas mit der Kirche zu tun haben«, vollendete Malberg ihren Satz.
»Dann liegen wir wohl nicht falsch mit unseren Vermutungen«, sagte Caterina. Sie schwieg einen Moment. »Ich befürchte beinahe, die Ermittlungen könnten unsere bescheidenen Möglichkeiten übersteigen.«
»Sie haben Angst, Caterina?«
»Natürlich. Nur Dummköpfe geben sich furchtlos.«
»Was soll ich tun? Zur Polizei gehen und sagen: Da bin ich, ich war zwar in der Wohnung, aber mit dem Mord habe ich nichts zu tun?«
»Das würde kaum weiterhelfen. Man würde Sie festnehmen, und Sie hätten nicht die geringste Chance, Ihre Unschuld zu beweisen. Und römische Gefängnisse haben nicht gerade den besten Ruf. Vorschlag: Fürs Erste tauchen Sie bei mir unter. Das wird zwar etwas eng; aber eine andere Möglichkeit sehe ich momentan nicht.«
»Das würden Sie für mich tun?«
»Haben Sie einen besseren Vorschlag? Also. Ich bin überzeugt, dass es keinen sichereren Platz für Sie gibt. Kommen Sie!«
Caterina Lima lebte im Stadtviertel Trastevere, in der Via Pascara, nicht weit vom Bahnhof entfernt. Hier sahen die Häuser alle gleich aus: hohe, fünf-bis sechsstöckige Gebäude aus dem vorvorigen Jahrhundert, zum Teil noch älter, mit klotzigen Fenstereinrahmungen und pompösen Eingangsportalen, die im diametralen Gegensatz zu den heruntergekommenen Treppenhäusern standen.
Was die Einwohner von Trastevere betraf, so fand man nirgends in der großen Stadt Arm und Reich, Schick und Verkommenheit, Alt und Jung so zusammengedrängt wie hier. Ursprünglich das Armenviertel von Rom, hatte sich Trastevere vor fünfzig Jahren allmählich in eine gesuchte Wohngegend verwandelt. Ein Penthouse im Tiberbogen nahe der Basilika Santa Cecilia war beinahe unbezahlbar. Doch zwischen luxussanierten Altbauten und teuren Restaurants lebten noch genügend einfache, aber stolze Bewohner, die einmal im Jahr, im Sommer, die »Festa de Noantri«, das »Fest von uns anderen«, feierten.
Auf dem Weg nach Trastevere, den sie im Taxi zurücklegten, hatte Caterina Malberg auf all das vorbereitet; aber Malberg hatte nur mit einem Ohr zugehört. In Gedanken plante er das weitere Vorgehen, und dabei wurde ihm zunehmend klar, dass er mehr denn je auf Caterinas Hilfe angewiesen war. Die neue Wendung der Dinge machte ihn, der Marlenes Mörder suchte, selbst zum Gejagten. Und wenn er bis vor kurzem sich noch mit dem Gedanken getragen hatte aufzugeben, einfach zu akzeptieren, dass Marlene nicht mehr lebte, dann wurde ihm jetzt allmählich bewusst, dass ihm keine andere Wahl blieb, er musste Licht ins Düstere dieses Verbrechens bringen.
»Wir sind da!« Caterinas Stimme schreckte ihn auf.
Nach ihren Schilderungen hatte Malberg Schlimmeres erwartet. Trotzdem war er irgendwie enttäuscht, als er das alte, farblose Gebäude sah, in dem Caterina lebte.
»Zweiter Stock!«, sagte sie, während sie in dem mit blauen Wandkacheln ausgestatteten Treppenhaus nach oben stiegen. Zu seiner Überraschung schellte sie an der Wohnungstür, und gleich darauf öffnete ein junger Mann mit schwarzen Haaren und durchtrainierter schlanker Figur.
Caterina küsste ihn auf die Wange. »Das ist Paolo«, sagte sie an Malberg gewandt, und zu Paolo: »Das ist Signor Malberg aus Monaco di Baviera. Er wird die nächste Zeit bei uns wohnen.«
Paolo streckte Malberg die Hand entgegen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass sie einen Mann mitbrachte, mit dem sie fortan die Wohnung teilten.
Wie dumm von dir zu glauben, dachte Malberg, dass ein so hübsches Mädchen allein lebt.
Kapitel 16
Mit einem Pack Zeitungen unter dem Arm hetzte Soffici auf der breiten Steintreppe des Apostolischen Palastes ins zweite Obergeschoss. Um nicht zu stolpern, raffte er seinen Talar mit der Rechten, denn er nahm, entgegen sonstiger Gewohnheit, immer zwei Stufen auf einmal.
Oben angelangt, zügelte er seine Eile. Betont lässig schlenderte er den langen Gang entlang zum Kardinalstaatssekretariat. Lautlos und unbemerkt verschwand er in der hohen Eichentür, die mit einem dezenten Schild: Monsignor Giancarlo Soffici, Segretariato, gekennzeichnet war.
Soffici warf die Zeitungen auf seinen Schreibtisch. Bedächtig nahm er die Brille ab und fuhr sich mit einem
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