Die Achte Suende
Taschentuch über sein Gesicht, als wollte er das eben Gesehene aus seinem Gedächtnis wischen. Dann schlug er eine Zeitung nach der anderen auf und begann die Artikel, in denen der mysteriöse Unfall des Kardinalstaatssekretärs gemeldet wurde, mit einer Schere auszuschneiden.
Es war nicht ungewöhnlich, wenn die Herren der Kurie zensierte Zeitungen auf den Tisch bekamen. Für gewöhnlich beschränkten sich die Ausschnitte jedoch auf Bilder obszönen Inhalts. Dazu zählten vor allem sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale - von den primären ganz zu schweigen -, aber auch Abbildungen schöner Knaben, Gott weiß, warum.
Soffici hatte seine Arbeit noch nicht beendet, als in der Tür, die zu Gonzagas Gemächern führte, der Kardinalstaatssekretär erschien.
»Ich hatte Sie noch nicht erwartet, Excellenza«, stotterte der Monsignore verlegen. »Wie ist Ihr Befinden?«
Gonzaga trug zu seiner Kardinalskleidung - durchgeknöpfter Talar, rotes Zingulum und rote Mozetta - eine dunkelgraue Halskrause, aus der sein Glatzkopf wie ein Zuchtchampignon herausragte. Eingehüllt in eine Aura von »Pour Monsieur« blieb dem Kardinal nicht verborgen, dass Soffici bemüht war, die Zeitungsausschnitte unter einem Stoß Akten verschwinden zu lassen.
»Bemühen Sie sich nicht, Monsignore«, sagte er, ohne auf die Frage seines Sekretärs einzugehen. »Ein aufmerksames Mitglied der Kurie hat mir den
Corriere
schon auf den Tisch gelegt. Ich nehme mal an, dass ich den dezenten Hinweis nicht Ihnen zu verdanken habe.«
»Excellenza, bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen ...«
»Schon gut. Ich sagte ja, dass ich Ihnen diese Niedertracht nie zutrauen würde.« Gonzaga blickte, die Arme auf dem Rücken verschränkt, zur prunkvollen Kassettendecke, welche alle Räume des Stockwerks zierte. Dann wandte er sich erneut an Soffici: »Eine dumme Geschichte, in die wir da geraten sind. Auch nach Anrufung des Heiligen Geistes ist mir bisher keine plausible Erklärung eingefallen, die man abgeben könnte. Oder fällt Ihnen dazu etwas ein, Soffici?«
»Sie meinen, warum der Kardinalstaatssekretär im Privatwagen seines Chauffeurs zu nachtschlafender Zeit mitten im Kreisverkehr anhält?«
»Das auch. Noch mehr gerate ich allerdings in Erklärungsnot, was die hunderttausend Dollar in der Plastiktüte betrifft. Wenn ich das Geld wenigstens in einem Aktenkoffer transportiert hätte! Ich habe mich aufgeführt wie ein neapolitanischer Mafioso.«
»Und wo ist das Geld geblieben?«
»Keine Sorge, Monsignore, ein Commissario hat es samt Plastiktüte bis auf den letzten Cent und gegen Quittung abgeliefert. Aber darum geht es nicht. Es geht einzig und allein um die Umstände, unter denen der Unfall geschah. Jedenfalls kann ich den Zeitungen nicht einmal verdenken, wenn sie das Ereignis zum Ausgangspunkt wilder Spekulationen nehmen.«
Soffici musterte mit finsterem Blick die Zeitungen, die ausgebreitet vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Er schwieg.
Gonzaga schüttelte den Kopf. Nach einer Weile nahm er seine Rede wieder auf: »Gottloses Gesindel, das solche Meldungen verbreitet. Gott soll sie strafen für ihre Hoffart. Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, haben sie Rechenschaft zu geben am Tage des Jüngsten Gerichts!«
»Sagt Matthäus 12,36.«
»Wer?«
»Der Evangelist Matthäus!«
»Egal. Dort jedenfalls wird Heulen sein und Zähneknirschen!«
Matthäus 13,50, dachte Soffici. Aber er hütete sich, es auszusprechen, denn er kannte die Zornesausbrüche seines Chefs. Und dass Gonzaga seine Redewendungen zum großen Teil aus dem Neuen Testament bezog, war allgemein bekannt.
In jenem Augenblick des Schweigens, in dem sich jeder über den anderen Gedanken machte, stürzte John Duca, eine Zeitung wie eine Fahne schwenkend, wutschnaubend in den Raum: »Excellenza, ich glaube, Sie sind uns allen eine Erklärung schuldig!«
Soffici sah Gonzaga erschrocken an. Es war höchst ungewöhnlich, dass jemand dem Kardinalstaatssekretär so forsch begegnete. John Duca, wie schon sein Vorgänger Professor des Kanonischen Rechts und außerdem Ehrendoktor der Universitäten von Bologna, Genfund Edinburgh, leitete das IOR, das Istituto per le Opere Religiöse. Was sich so edelmütig und erhaben anhörte, war nichts anderes als die Vatikan-Bank, ein Unternehmen mit Milliardenumsätzen und in einem festungsartigen Gebäudekomplex beheimatet, der sich anhänglich wie eine unscheinbare Geliebte an den Apostolischen Palast schmiegt. Von oben betrachtet
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