Die Achte Suende
sie zielstrebig dem Palazzo zu, in dem die Französische Botschaft untergebracht ist.
Im Schatten des mächtigen Palazzo schlenderte sie gelangweilt auf und ab, so als erwarte sie jemanden.
Lukas und Caterina standen hinter dem linken Brunnen und beobachteten sie.
Nach etwa zehn Minuten zeigte Signora Fellini deutliche Anzeichen von Nervosität. Da näherte sich ein Mann auf einer Vespa. Er trug Jeans, ein rotes T-Shirt und einen schwarzen Sturzhelm mit einem Visier aus Plexiglas.
Er schien es in keiner Weise eilig zu haben und bockte seelenruhig sein Fahrzeug auf. Während er an seinem Helm nestelte, ging er auf die Signora zu. Die redete auf ihn ein, machte ihm offenbar Vorwürfe, weil er unpünktlich sei. Schließlich zog sie, vorsichtig um sich blickend, einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn dem Unbekannten.
»Merkwürdig«, meinte Malberg, ohne Caterina anzusehen, »findest du nicht auch?«
»Allerdings«, erwiderte sie, ohne den Blick abzuwenden.
Der Mann öffnete den Umschlag, und es schien, als ob er mit den Daumen beider Hände Geldscheine zählte. Doch die Summe schien ihn nicht zufriedenzustellen. Wütend knüllte er den Briefumschlag zusammen und ließ ihn in der rechten Tasche seiner Jeans verschwinden. Dann riss er sich den Helm vom Kopf und redete mit großer Heftigkeit auf die Frau ein.
»Luuukas?« Caterinas Stimme klang fassungslos. »Luuukas! Sag, dass das nicht wahr ist.« Sie drückte Malbergs Hand, dass es schmerzte.
»Das ist ja Paolo!«, rief Malberg entsetzt. »Paolo, dein eigener Bruder!«
Caterina klammerte sich an Lukas. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.
»Ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig«, bemerkte Malberg aufgebracht.
Caterina sah ihn mit großen Augen an. »Lukas, ich bin genauso überrascht wie du. Denkst du etwa …«
»Versuch jetzt nicht, mir zu erklären, du habest vom Doppelspiel deines Bruders nichts gewusst!« Malbergs Stimme klang wütend. Caterina zuckte zusammen.
»Bei der Madonna und allem, was mir heilig ist, nein, ich wusste nicht, dass er mit dieser Frau unter einer Decke steckt. Ich weiß selbst nicht, was das zu bedeuten hat. Paolo ist ein Filou – aber er ist kein Verbrecher!«
Caterina wandte sich ab. Sie hatte Tränen in den Augen.
Malberg zeigte sich unbeeindruckt: »Du weißt, was das bedeutet«, sagte er. »Wer immer sich hinter diesen Verbrechern verbirgt, sie waren über jeden meiner Schritte bestens informiert. Das angeblich so sichere Zimmer in der Pension Papperitz war eine Finte. Vermutlich gibt es dort sogar eine Abhöranlage. Und wie Paolo den Unwissenden spielte, als wir nach einem Zugang zu Marlenes Wohnung suchten, das war ein schauspielerisches Meisterstück. Zu diesem Bruder kann man dir nur gratulieren!«
»Wie kannst du nur so ungerecht sein.« Caterina ballte die Fäuste. »Mach mich bitte nicht dafür verantwortlich, dass mein Bruder auf die schiefe Bahn geraten ist.«
»Ja, dein Bruder, der mich so mag – das sagtest du doch, nicht wahr?« Malberg war außer sich. Der Gedanke, dass Caterina ein falsches Spiel mit ihm trieb, machte ihn rasend. »Du teilst mit deinem Bruder eine Wohnung, ihr lebt zusammen wie ein Ehepaar, und du willst mir vormachen, dass du nichts gewusst hast? Das soll ich glauben? Ein bisschen viel, was du mir abverlangst.«
»Lukas, bitte glaub mir!«
»Das würde ich gerne. Aber ich kann es nicht. Ich habe mich eben in dir getäuscht. Schade, ich jedenfalls hatte ehrliche Absichten.«
Ich auch, wollte Caterina sagen, aber dazu kam es nicht mehr. Lukas Malberg drehte sich um und entfernte sich schnellen Schrittes in Richtung Campo dei Fiori.
Von Angst getrieben, begann Malberg zu laufen. Er war völlig durcheinander, und je weiter er sich von der Piazza Farnese entfernte, desto wirrer wurden seine Gedanken. Entgegenkommenden wich er aus, alle fünfzig Meter wechselte er die Straßenseite, blieb stehen und wandte sich um, um zu sehen, ob jemand ihm folgte, beschleunigte seine Schritte und verlangsamte erneut seinen Gang. Was tun?, hämmerte es in seinem Gehirn.
Und wenn du dich stellst?
Wie aus weiter Ferne vernahm Malberg eine Stimme, eine zaghafte, unsichere Stimme: Und wenn du dich stellst?
Nein, er hatte Marlene nicht umgebracht! Aber konnte er das beweisen? Oder anders gefragt: Konnte man ihm das beweisen? Vermutlich war Marlenes Wohnung voll von seinen Fingerabdrücken. Und er war derjenige, mit dem Marlene sich hatte treffen wollen. Er war derjenige, der nicht
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