Die Achte Suende
die Polizei gerufen hatte, als er die Tote fand. Malberg lief es heiß und kalt über den Rücken. Was wussten die Leute, die Marlene wirklich ermordet hatten? Suchten sie ihn, um ihn zum Schweigen zu bringen?
In Panik lief Malberg durch die kleinen Gassen. Plötzlich lag die Via Luca vor ihm. Als die Locanda der Signora Papperitz in sein Blickfeld kam, wusste er, was er hier wollte. Gegen Mittag war es ruhig in der Pension. Malberg nahm hastig die Treppe nach oben. Vor der Tür hielt er kurz inne und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dann drückte er auf den Klingelknopf.
Das Zimmermädchen öffnete, grüßte höflich. Malberg gab den Gruß ebenso höflich zurück. Zum Glück war Signora Papperitz nicht anwesend. Malberg zwang sich, langsam den langen Korridor entlangzugehen.
In seinem Zimmer raffte er eilig seine gesamte Habe zusammen – viel war es ohnehin nicht – und stopfte sie in eine Reisetasche aus Segeltuch. Er sah sich noch einmal kurz um. Unbemerkt verließ er die Locanda.
Noch nie im Leben hatte sich Malberg so hilflos gefühlt, so ratlos, wie es weitergehen sollte. Wem konnte er noch trauen? Wer konnte ihm helfen? Wie betäubt trottete er eine Weile den Lungotevere dei Tebaldi am Tiber entlang, überquerte den trägen grünbraunen Fluss auf dem Ponte Sisto und wandte sich, ohne darüber nachzudenken, Richtung Süden, dem Stadtviertel Trastevere zu.
In einer Paninoteca mit verspiegelten Wänden und Stehtischen kaute er ein Sandwich, nicht weil er Hunger hatte, sondern um den Magen zu beruhigen. Dazu trank er einen Caffè latte.
Malberg sah den Mann, der ihn im Spiegel anstarrte. Er glotzte ihn aus tiefliegenden Augen an. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, das von tiefen Falten zerfurcht war. Der Mann sah ungesund aus, gehetzt, bleich. Glotz nicht so blöd!, hätte Malberg am liebsten geschrien. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er, Lukas Malberg, der Mann im Spiegel war, dieser heruntergekommene, völlig fertige Typ, gegen den sich die ganze Welt verschworen zu haben schien. Der ohne Schuld in eine Sache geraten war, die ihn völlig aus der Bahn warf. »Ich möchte das Leben wiederhaben, das einmal mir gehörte«, murmelte Malberg unverständlich verzweifelt. Es klang wie ein Gebet.
Der Propeller an der Decke der Paninoteca wirbelte angenehme Kühle durch Malbergs verschwitztes Haar. Mit dem Taschentuch tupfte er sich den Schweiß aus dem Nacken. Dabei fiel ein Zettel zu Boden, den er seit mehreren Tagen in der Tasche mit sich herumtrug: »Giacopo Barbieri« und eine siebenstellige Telefonnummer.
»Darf ich mal telefonieren?«, fragte Malberg den glatzköpfigen
fornaio
und legte eine Münze auf die Theke. Dann wählte er die Nummer.
Barbieri meldete sich mit dem üblichen »
Pronto!
«.
»Hier ist Malberg. Wissen Sie noch, wer ich bin?«
»Aber ja, Signor Malberg. Ich wollte Sie ohnehin kontaktieren. Was kann ich für Sie tun?«
»Gestatten Sie mir eine Frage.« Malberg machte eine Gedankenpause. »In welchem Verhältnis stehen Sie zu Caterina Lima?«
»Ich verstehe nicht, Signore.«
»Ich meine, sind Sie mit Caterina näher befreundet? Oder haben Sie der Signora gegenüber irgendwelche Verpflichtungen?«
»Nicht dass ich wüsste«, gab Barbieri ohne Zögern zurück. »Aber warum fragen Sie?«
»Es ist nämlich so. Ich habe berechtigten Grund zu der Annahme, dass Caterina Lima ein falsches Spiel spielt. Jedenfalls kassiert ihr Bruder Paolo Geld von Personen, die mit dem Mord an Marlene Ammer in Verbindung stehen.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch. Ich habe zusammen mit Caterina eine Geldübergabe an Paolo Lima beobachtet. Caterina sagt, sie hat nichts davon gewusst. Allerdings glaube ich nicht, dass sie so ahnungslos war, wie sie tat.«
Barbieri schwieg eine ganze Weile. Schließlich erwiderte er: »Sind Sie sicher? Ich kenne Caterina nur beruflich, aber ich habe sie als eine sehr ehrliche Person in Erinnerung, der die Gaunereien ihres Bruders ziemlich peinlich waren. Aber was Sie sagen hat mit kleinen Gaunereien nichts zu tun. Als sie mich bat, ein Auge auf Sie zu werfen, war das eher zu Ihrem Schutz …«
»Hören Sie – ich kann kein Risiko eingehen!«, unterbrach Malberg Barbieri. »Wären Sie bereit, mir zu helfen?«
»Jederzeit.«
»Unter einer Bedingung! Caterina darf nichts davon erfahren.«
»Sie haben mein Wort, Signor Malberg.«
»Sicher wissen Sie, dass ich auf Empfehlung Paolos in einer Pension in der Via Luca untergetaucht bin.«
»Das ist mir
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