Die Achte Suende
Marchesa an, dass die ganze Sache sehr gefährlich sei, und dann lachte sie ganz irre und meinte, ich sollte doch mal die Geheime Offenbarung des Johannes lesen, ein bestimmtes Kapitel. Warte ...« Caterina zog einen Zettel aus dem Ausschnitt ihres Kleides hervor und las: »Kapitel 20, Vers 7. Sagt dir das was?«
Malberg blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte Caterina nur mit halbem Ohr zugehört. In dem Stimmengewirr hatte er den Ruf einer Marktfrau vernommen: »Schöne Spinaci hätte ich noch für Sie zum halben Preis, Signora Fellini!«
Es war nicht das großzügige Angebot der Marktfrau, das Lukas Malberg aufhorchen ließ, sondern die Anrede: Signora Fellini. Fellini, ein nicht gerade häufiger Name - auf dem Namensschild der Hausbeschließerin von Marlenes Wohnung stand derselbe Name!
Malberg musterte die Frau aus nächster Nähe. Sie kannte ihn nicht; aber er hatte sie kurz gesehen, damals, als er Marlenes Leiche entdeckt und das Haus überstürzt verlassen hatte. Die Ähnlichkeit war unverkennbar: stattliche Figur, modisch kurz geschnittene Frisur und blitzende Kreolen an beiden Ohren. Und doch sah sie völlig anders aus.
Signora Fellini machte aus der Entfernung einen beinahe gepflegten Eindruck. Dazu trug vor allem das elegante Kleid bei, das Malberg total verwirrte. Er hätte schwören können, dass Marlene das gleiche flaschengrüne Kleid von Ferragamo bei ihrem Klassentreffen getragen hatte. Malberg verstand nichts von Mode, aber der figurbetonte Schnitt dieses Kleides hatte ihn damals spontan zu einem Kompliment veranlasst.
»Lukas?« Caterina zog Malberg zu sich heran. Sie hatte seine Blicke längst bemerkt. »Meine Güte, Lukas, jetzt starr diese Frau doch nicht so an, so schön ist die nun auch nicht.«
Malberg machte eine abweisende Handbewegung, als wollte er sagen: Darum geht es doch gar nicht; dann sagte er leise: »Du wirst es nicht glauben, aber das ist die Concierge aus Marlenes Haus!«
»Die es angeblich nie gegeben hat, weil die Wohnung schon immer von Nonnen bewohnt wird?«
»Genau die.«
Caterina warf Malberg einen ungläubigen Blick zu. »Ist das dein Ernst? Oder willst du dich rausreden? Du kannst ruhig sagen, wenn sie dich anmacht. Männer haben ja manchmal einen Hang zum Ordinären. Ich finde sie jedenfalls ziemlich gewöhnlich. Und das Kleid passt überhaupt nicht zu ihr – abgesehen davon, dass es viel zu eng ist.«
»Das mag ja alles sein«, Malberg lächelte trotz seiner Erregung, »aber glaub mir, das ist Signora Fellini, die aus dem Haus an der Via Gora verschwunden ist.«
Mit zusammengekniffenen Augen musterte Caterina die aufgetakelte Signora. »Und du irrst dich nicht? Ich meine, bei dem, was in letzter Zeit auf dich einstürzt, könnte ich es dir nicht einmal zum Vorwurf machen, wenn du Gespenster siehst.«
»Guck dir mal das Kleid an!«
»Ein teurer Fetzen! Wer weiß, welche Gegenleistung sie dafür erbracht hat. Ihre Handtasche ist jedenfalls von Hermès!«
Malberg behielt die Signora im Auge und trat ganz nah an Caterina heran: »Sie trägt ein Kleid von Marlene. Ich bin mir sicher, dass Marlene dieses Kleid anhatte, als ich sie zum letzten Mal sah –
lebend
sah.«
Die Verblüffung stand Caterina ins Gesicht geschrieben.
Die Signora entfernte sich und drohte im Markttreiben zu verschwinden.
»Komm«, mahnte Malberg, »wir müssen sehen, was sie vorhat.«
»Was wird sie auf dem Campo dei Fiori schon vorhaben? Einkaufen,
finocchio, cipolle, pomodori
!« Caterina wollte Malbergs Geschichte nicht so recht glauben.
Während sie sich in Sichtweite zu Signora Fellini hielten, meinte sie: »Das würde ja bedeuten, dass diese Person in der Wohnung von Marlene gewesen ist.«
Malberg hob die Schultern: »Die Tatsache, dass sie hier herumspaziert und sich wie eine feine Dame gibt, lässt jedenfalls darauf schließen, dass sie ein respektables Schweigegeld kassiert hat.«
»Du meinst, sie kennt die näheren Umstände von Marlenes Tod?«
»Die Annahme ist wohl nicht ganz abwegig.«
Scheinbar planlos schlenderte Signora Fellini über den Markt, ohne etwas zu kaufen, wandte sich nach links, dann wieder nach rechts und kehrte schließlich an die Stelle zurück, an der Malberg sie entdeckt hatte. Man konnte meinen, sie sei bemüht, mögliche Verfolger abzuschütteln.
Dann aber blickte sie plötzlich auf die Uhr, beschleunigte ihre Schritte und verließ den Campo dei Fiori in Richtung Piazza Farnese. Vorbei am rechten der beiden Brunnen, die den Platz zieren, strebte
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