Die Achte Suende
Ich werde den Verdacht nicht los, er treibt sich noch hier in Rom herum.« Er machte eine kurze Pause: »Wären Sie bereit, sich mit mir zu treffen?«
»Soll das eine Vorladung sein?«
»Keineswegs. Ich bitte Sie darum.«
»Meinetwegen, wenn Sie sich etwas davon versprechen.«
»Wann passt es Ihnen, Signora?«
»Heute nach Dienstschluss gegen achtzehn Uhr.«
»Gut. Und wo?«
»Kennen Sie das kleine Café in der Via Marsala, gegenüber dem Seiteneingang von der Stazione Termini?«
»Nein, aber ich werde es finden. Achtzehn Uhr. Ich danke Ihnen, Signora.«
Mesomedes wartete schon, als Caterina, aus der Redaktion kommend, in dem kleinen Café eintraf. Er war jung, sogar sehr jung für den Job eines Staatsanwalts. Seinem Stand versuchte er mit einem korrekten Haarschnitt und einem grauen Zweireiher und blitzblanken Schnürschuhen gerecht zu werden. Ein Mann, nicht unbedingt ihr Fall; aber Caterina sollte ihn ja auch nicht heiraten.
»Ich will Ihnen die Wahrheit sagen«, begann Mesomedes das Gespräch, nachdem sie im hinteren Teil des Lokals Platz genommen hatten. »Ich handle hier auf eigene Faust. Denn wie Sie richtig sagten, ist die Akte Marlene Ammer offiziell geschlossen. Aber als junger Staatsanwalt hat man nur die Chance, Karriere zu machen, wenn es einem gelingt, an spektakuläre Fälle heranzukommen. Ja, ich habe mir in den Kopf gesetzt, Karriere zu machen. Und da dies auf dem normalen Dienstweg nur sehr schwer möglich ist, hatte ich die Idee, spektakuläre abgeschlossene Fälle neu aufzurollen. Der Fall Marlene Ammer drängt sich da geradezu auf.«
»Ach, so ist das.« Caterina staunte. Seine Ehrlichkeit machte den jungen Staatsanwalt fast schon wieder sympathisch. Sie hatte ihre Bereitschaft, ihm zu helfen, von einer gewissen Sympathie abhängig gemacht. Für diesen Fall hatte Caterina einen Trumpf im Ärmel. »Und was kann ich für Sie tun?«, fragte sie schließlich.
Mesomedes öffnete seinen altmodischen schwarzen Aktenkoffer, den er krampfhaft unter dem Tisch zwischen den Beinen festhielt, und fingerte aufgeregt in einem Stoß von Papieren. Als er endlich gefunden hatte, wonach er suchte, meinte er: »Wenn man Ihren Bericht im
Guardiano
liest, gewinnt man den Eindruck, als wüssten Sie, was den Fall Ammer betrifft, viel mehr, als sie veröffentlicht haben.«
»Ihr Eindruck täuscht Sie nicht, Dottore!«, erwiderte Caterina kühl.
»Es gibt da eine Spur, die, falls ich sie verifizieren könnte, in eine ganz andere Richtung zielt. Machen wir uns nichts vor, wir glauben beide nicht daran, dass Marlene Ammer in ihrer Badewanne ertrunken ist. Und dass der Antiquar Malberg die Signora umgebracht hat, ist eher eine Vermutung, die sich darauf stützt, dass er kurz nach dem Tod Marlene Ammers untergetaucht ist. Für jeden einigermaßen guten Anwalt wäre es eine Kleinigkeit, den Haftbefehl aufzuheben. Dazu ist die Beweislage einfach zu dünn.«
»Warum heben Sie von sich aus den Haftbefehl nicht einfach auf? Dann hätte Malberg nichts zu befürchten, und er könnte vielleicht sogar dazu beitragen, Licht ins Dunkel dieses Falles zu bringen.«
Mesomedes holte tief Luft. »Wissen Sie, Signora, unsere Justiz ist eine träge alte Dame, unbeweglich und prätentiös. Sie will immer ein bisschen gebeten oder aufgefordert werden. Einen Haftbefehl auszustellen ist ziemlich einfach, ihn wieder aufzuheben ist eine komplizierte Prozedur.«
»Dabei sagten Sie, Sie glauben an die Gerechtigkeit!«
»Der Gerechte muss viel leiden. Das steht schon in den Psalmen geschrieben. Aber zur Sache!« Mesomedes legte mehrere DIN-A4-Seiten vor sich auf den Tisch. »Das ist eine Kopie aus dem Obduktionsbericht im Fall Ammer. Sie wissen, der Pathologe Martino Weber kam zu dem Ergebnis: Marlene Ammer starb durch Ertrinken in der Badewanne. Zugegeben, so etwas kommt vor, übrigens gar nicht mal selten, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist. Aber davon ist im Bericht des Gerichtsmedizinischen Instituts nicht die Rede. Erwähnung finden dagegen Hämatome im Schulter-und Brustbereich. Man könnte also auch davon ausgehen, dass die Signora unter Wasser gedrückt wurde und sich gewehrt hat. Am interessantesten fand ich jedoch den Hinweis auf gewisse Duftspuren im Morgenmantel der Signora: Olibanum, Benzoe, Storax, Tolubalsam und Zimtrinde.«
»Zimtrinde, so, so«, wiederholte Caterina in einem Anflug von Zynismus.
Der junge Staatsanwalt ließ sich nicht beirren: »Mir waren diese Ingredienzien ebenso unbekannt wie Ihnen, Signora.
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