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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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gegen den Willen der Lübecker gebaut werden würde, gab es keine Garantie, dass der Widerstand am Tag des Stapellaufs beendet sein würde. Im schlimmsten Fall könnte daraus eine unendliche Geschichte werden, ein Giftstachel, so quälend, dass Anna keine Freude an ihrem Schiff haben würde.
    »Es muss einfach klappen«, rief Hedwig Wittmer . Ein Arbeiter, fast so breit wie hoch, hatte inzwischen ein kleines Fass hereingetragen , aus dem Hedwig frohgemut ein Glas nach dem anderen zapfte. Ein Nein wurde nicht akzeptiert, längst redete die Frau des Brauers laut und lustig. Vor den Karten stehend, wies ihre rechte Hand die Wege, die das Schiff nehmen würde. Sie stellte mehrere Routen zur Auswahl, jede einzelne führte sehr, sehr weit.
    »Aber da ist die Welt zu Ende«, murmelte Sybille Pieper eingeschüchtert. »Keiner weiß, was ihn dort erwartet. Wer wird so dumm sein, wissen zu wollen, was dort ist?«
    »Ich bin so dumm!«, rief Hedwig. »Deshalb finde ich das große Schiff so notwendig. Wir sollten aufhören, bei dem Schiff immer nur an einen Lastkarren zu denken, der Fässer und Holz und Salz von einem Hafen zum anderen fährt. Das Schiff transportiert viel mehr: Menschen und ihre Neugier, kluge Menschen, die über die Erde nachdenken und alles wissen wollen, was wir heute noch nicht wissen.«
    Ihre Arme begannen vor der Karte zu kreisen, so außer sich hatten die Frauen ihre Freundin noch nie erlebt.
    »Ich glaube nicht, dass das alles ist!«, rief sie. »Unser Lübeck und das Land rings herum. Das große Land im Osten, Afrika unter uns und alles, was dort drüben liegt. Amerika! Vor 100 Jahren gab es für uns kein Amerika. Jetzt berichtet uns jedes Schiff, das von dort zurückkehrt, wie groß es dort ist, wie einsam und weit und schön und aufregend. Wir wissen noch überhaupt nichts, es fängt alles erst an. Wie viele Menschen kennt ihr, die in Afrika waren? Und ich meine jetzt keinen Seemann, der in Alexandria an Land gegangen ist, um zu sehen, ob die Huren von Alexandria schöner sind als unsere. Was weiß er, wenn er zurückkommt? Gar nichts weiß er, denn Afrika ist größer als Alexandria, das nur der Zipfel im Norden ist. Stellt euch vor, es würde noch ein Land geben, wo niemand von uns jemals war!«
    »Noch eins?«, fragte Sybille so skeptisch, als würde ein fliegender Händler versuchen, ihr etwas Nutzloses zu einem überteuerten Preis anzudrehen. »Wozu noch eins? Wir haben doch alles, was wir brauchen.«
    »Nein, Sybille«, rief Hedwig und packte die verdutzte Heilerin an den Schultern. »Gar nichts wissen wir. Eine Reise ist gar nichts, sie ist das Gleiche, als wenn du beim Essen den Mund öffnest. Aber der Löffel ist noch nicht im Mund, du bist noch ganz am Anfang. Du musst noch 1.000 Reisen unternehmen, denn dort leben Menschen mit ihren Sprachen und Kleidern, mit ihrer Medizin und ihrer Art, mit anderen Menschen Umgang zu pflegen. Das müssen wir alles erst kennenlernen . Was wissen wir von den Menschen drüben im südlichen Amerika, außer dass sie Gold besitzen und sich von den Spaniern töten lassen, ohne sich zu wehren? Wir wissen nichts, aber die Erde ist voller Wissen, das Menschen sucht, die es kennenlernen wollen. Was weiß ich denn von der Erde? Wo war ich außer in Lübeck und zweimal bei den Dänen? Ich bin mit dem Schiff hinter Rügen gewesen und die Reise nach London mit Wittmer werde ich nie vergessen. Aber die Dänen und Rügen und London sind nichts weiter als drei kleine Punkte auf der Karte, die die Erde zeigt. Die meisten Menschen kommen in ihrem Leben nie aus ihrem Dorf heraus, und wenn sie die Türme von Lübeck sehen, glauben sie, sie haben das Paradies erreicht. Wir sind klüger, wir wissen, dass im Paradies viele Stinkstiefel leben. Das ist es, was ich bei meinem Holden nie begreifen werde: wie wenig neugierig er ist. Er ist ein liebevoller Vater und als Ehemann kann ich mir keinen besseren wünschen. Sogar sein Bier schmeckt besser als das meiste andere. Aber irgendwo gibt es ein Bier, das wir noch nie getrunken haben. Vielleicht gibt es das Bier noch nicht, vielleicht gibt es nur den Mann, der es brauen könnte oder die Frau, die es brauen könnte. Sie muss uns erst treffen und unsere Maschinen, die Gerste, die richtige Temperatur. Wir müssen uns alle erst noch treffen, es hat noch gar nicht angefangen. Einer wohnt in Lübeck, der andere wohnt in Afrika, einer wohnt in Rostock, der andere hinter dem Wasser in Amerika. Das Problem sind die Entfernungen. Das Buch, das

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