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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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mehr aufzutauchen?«
    Der kleine Werftbesitzer wand sich und murmelte: »So habe ich das nicht gemeint.«
    Aber er hatte es so gemeint. Wo er herkam, machte man das so, seit alters her. Nicht zuletzt deshalb wurde in der Gegend ja so viel gebaut. Weil so viel abbrannte.
    Die Gäste waren gegangen, Schnabel stand am Kamin. Das Holz war aufgeschichtet, denn die Kälte stand vor der Tür. Ständig stand etwas Unangenehmes ins Haus, ob es die Kälte war, ein Husten, der sich auf die Bronchien legte, eine tote Katze, in deren Innereien man auf der Gasse trat. Mal war es eine Zwiebelsuppe, die die Därme zum Platzen bringen wollte, dann ein Schreiber, der die Zahl zwei von einem Tag auf den anderen so schrieb wie die Zahl neun. Dann kam ein Däne und behauptete, er könne deutsch sprechen, aber er hörte sich an, als würde er mit der Zunge Fleischstücke aus den Zähnen saugen. Die Kinder tobten durch das obere Geschoss, als wollten sie den Fußboden durchbrechen. Zwei Leinentücher fehlten, und das neue Dienstmädchen wollte zum Richter laufen, wenn man nicht aufhörte, sie zu verdächtigen. Es gab solche Tage, an denen es erst Abend wurde, wenn der Tag einem zehnmal gegen das Bein getreten hatte.
    Und jetzt stand sie in der Tür, still und kaum sichtbar, wie es ihre Art war. Sie wartete darauf, dass er etwas sagte. Aber er wollte nicht schon wieder erleben, wie klug diese Person war, die er nicht geheiratet hätte, wenn er damals schon gewusst hätte, wie klug sie war oder werden könnte. Von wem hatte sie das? Von ihren Eltern nicht, das stand fest.
    Aber sie würde nicht von allein fortgehen, das hatte sie tausend mal bewiesen. So seufzte Schnabel und sagte zum Kamin: »Mich regt das auf. Eine Witwe soll Ruhe geben. Es ist nicht verboten, ein Geschäft zu betreiben. Aber sie soll mir nicht ins Handwerk pfuschen. Ich habe mich so gefreut, als Rosländer gestorben ist. Und jetzt ist wieder ein Rosländer da und regt mich auf. Soll ich erst aus Lübeck wegziehen? Wo soll ich hin?«
    »Oder wir?«
    »Oder wir. Wo sollen wir hin?«
    »Mach deinen Frieden.«
    »Das kann ich nicht. Ich bin Kaufmann und kein Pastor.«
    »Geh zu ihr und reich ihr die Hand.«
    »Das kann ich auch nicht. Wenn man einem Rosländer die Hand gibt, weiß man nie, ob man hinterher noch alle Finger hat.«

9
    Die Stadt besaß einen neuen Treffpunkt. Kein Marktplatz, kein Brunnen, kein Platz vor der Kirche, kein Gasthaus und kein Geschäft, in dem geschlachtet, gebacken oder geräuchert wurde, sodass die Chance für Mensch und Tier groß war, sich an Resten laben zu können.
    Zu essen und zu trinken gab es auch beim neuen Treffpunkt, denn in der zweiten Woche tauchten Händler auf, boten Fisch, Eingelegtes und Gebackenes an. Ein Apotheker schickte seinen Lehrjungen, die Zuckerwaren gingen weg wie warme Semmeln. Aber die gab es auch aus dem Korb des Bäckers.
    Mittlerweile hatten die vorfahrenden Fuhrwerke wieder freie Bahn, nachdem es in den ersten Tagen zu mehreren Beinahe-Unfällen gekommen war. Jetzt hatte jeder seinen Platz gefunden: die Arbeiter, die Anlieferer , die Gaffer. Die meisten waren Nichtstuer, die man heute hier und morgen dort traf, je nachdem, wo sich Unerwartetes tat. Man plauderte, tauschte Rezepte und Einkaufstipps aus. Man redete über Nachbarn und Fischer, die Obsternte und den Bezug von Brennholz.
    Einige gingen die Sache systematisch an. Eifrig schrieben sie in kleine Bücher, wenn ein Fuhrwerk Holz anlieferte. War der Besucher namentlich bekannt, wurde der Name festgehalten. War er unbekannt, wurde herumgefragt, und oft gab es einen Treffer.
    Seitdem in Lübeck Werften existierten, hatten die Beschäftigten morgens ihren Arbeitsplatz unbehelligt aufsuchen und abends wieder verlassen können. Das war nun anders geworden, denn auf den letzten Metern zum Arbeitsplatz hatten die Arbeiter plötzlich Begleiter. Manchmal waren die Begleiter namentlich bekannt, manchmal nicht. In jedem Fall hatten die Begleiter Fragen. Wenn sie Antwort erhielten, wurde die Antwort notiert. Wenn nicht, wurde die Frage wiederholt, auch ein drittes und viertes Mal. Ein einziger Begleiter brachte es auf 18 Fragen. Ein anderer brachte es auf neun und eine blutige Nase, denn gefragt wurden nicht zierliche Tanzmädchen auf dem Weg zum Ballett, sondern stämmige Männer. Sie waren es nicht gewohnt, Fragen zu beantworten. Sie waren es überhaupt nicht gewohnt, morgens zu sprechen. Bei ihnen zu Hause hielten morgens alle den Mund.
    Einer von ihnen wollte die

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