Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
lästigen Fragensteller ein für alle Mal abwimmeln, indem er sagte: »Ich sage nichts, weil ich nichts sagen soll.«
»Ist Euch verboten worden zu sprechen?«
»Was? Ja genau, verboten worden. Deshalb sage ich nichts. Und jetzt lass mich in Ruhe oder ich schmeiße dich in die Trave.«
Das war der Tag, an dem die Lübecker erfuhren, dass Anna Rosländer ihren Beschäftigten verboten hatte, über ihre Arbeit zu sprechen. Vor drei Wochen hätte dieser Umstand niemanden gejuckt, denn vor drei Wochen hatte sich niemand dafür interessiert, was ein Tischler oder Schlosser oder Segeltuchmacher auf einer Werft den Tag über treibt.
Das war Vergangenheit, jetzt gab es nichts Spannenderes als den Weg eines Stück Holz aus dem Wald in den Schiffsrumpf zu verfolgen. Die Zahl der Neugierigen verdoppelte sich. Ein Schlosser sah sich so vielen Fragenstellern ausgesetzt, dass er befürchtete, zu spät zur Arbeit zu kommen. Er holte aus und schlug zu. Der Fragensteller beging den Fehler, den Schlag abwehren zu wollen. Für den Schlosser sah es so aus, als wollte der andere ihn schlagen. Der Schlosser holte erneut aus, diesmal mit der Wucht, mit der er Nägel und Schrauben ins Holz zu treiben pflegte.
Die Ärzte, denen der Fragensteller später im Krankenhaus gezeigt wurde, kamen auf zwei gebrochene Schlüsselbeine sowie einen verschobenen Unterkiefer. Sie schlugen dem Fragensteller von der anderen Seite an den Kiefer. Es gab ein Geräusch, das von allen Ohrenzeugen als ungut empfunden wurde. Schnell stand fest, dass der Fragensteller seiner Aufgabe in der absehbaren Zukunft nicht würde nachgehen können.
Wo Menschen sich trafen, sprachen sie nach kurzer Einleitung und manchmal auch ohne Einleitung über die Rosländer-Werft und was dort geschah. Halbwissen paarte sich mit Gerüchten, Unterstellungen wurden mit Wahrscheinlichem gekreuzt. Heraus kam ein Brei von Wahrscheinlichkeiten: Ein Schiff würde entstehen, daran zweifelte niemand. Groß würde es werden, warum wurde sonst so viel Aufhebens darum gemacht? Anna Rosländer hieß die neue Chefin von Werft und Reederei, warum sonst hatte sich Reeder Schnabel im Rathaus unter Zeugen vor Wut in die Hand gebissen? Anna Rosländer baute auf eigene Rechnung, niemand hatte ihr einen Auftrag erteilt.
Und das war der Punkt. Warum tat die Frau das? Tat sie es für jemanden? Oder gegen jemanden? Und wie reich war die Witwe eigentlich, wenn sie es sich leisten konnte, so viel Geld auszugeben?
Auf der Werft wurde das Schiff gebaut, aber das Holz, das Eisen, die Taue und Segel entstanden nicht dort. Sie wurden in Tischlereien, Schmieden, Seilereien und Schneiderwerkstätten gefertigt und in fertigem oder halb fertigem Zustand zur Werft gebracht, wo die Weiterverarbeitung stattfand. Ebenso wie die Malerarbeiten und der gesamte Innenausbau.
Es kam der Moment, in dem jemand aus der Menge vor der Werft rief: » Querner , habt Ihr auch Kanonen?«
Der Techniker, den man in der Stadt kannte, blieb verdutzt stehen. Einen Moment nur, aber er blieb stehen und ärgerte sich noch abends darüber, dass er sich hatte düpieren lassen. Da machte die Neuigkeit längst die Runde: Das Schiff wird groß und es wird Kanonen haben. Was anderes sollte es sein als ein Kriegsschiff? Oder als ein Frachtschiff von so ungeheurer Größe, dass man es vor begehrlichen Piraten schützen musste?
Auf dem Weg in die Schifferbörse schlug ein Mann, den seine Kleidung als Schiffer auswies, dem Reeder Schnabel im Vorbeigehen auf die Schulter und rief: »Tja, Schnabel, jetzt kannst du Ruderboote bauen. Für die großen Pötte sind andere zuständig.«
Über diese Worte ärgerte sich Schnabel so sehr, dass er den Rinderbraten zurückgehen ließ. Gegen den Ärger trank er einen Genever , danach noch einen. Nach dem vierten war Schnabel duhn. Seine Kollegen wussten, dass er tagsüber keinen Alkohol vertrug. Sie nahmen ihn in die Mitte und geleiteten ihn umsichtig zurück ins Bureau. Schnabel musste sich einhaken, das blieb nicht ungesehen. Noch bevor er abends sein Haus betrat, hatte die Neuigkeit seine Frau erreicht: »Dein Mann ist so kaputt, dass er nicht mehr allein gehen kann.«
Frau Schnabel fütterte den deprimierten Mann mit Hühnerbrühe, verbot den Kindern, Krach zu machen und steckte Schnabel ins Bett. Fünf Minuten später verließ sie das Haus.
10
Trine Deichmann kam durch den Hintereingang. Hedwig Wittmer öffnete persönlich, das war noch nie geschehen. Den Salon ließ man rechts liegen und stieg ins
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