Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
alle Konkurrenten. Bis er auf der Bildfläche erschienen war, hatte unter den Lübecker Werften und den Werften der Umgebung eine stille Übereinkunft gegolten. Man tat sich bei den Preisen nicht weh. Man achtete darauf, dass die Preise nicht identisch waren, weil diese Politik für zornige Bemerkungen gesorgt hätte. Aber man hielt die Unterschiede marginal. Der Preis konnte nicht den Ausschlag geben, wenn es darum ging, welchem Haus man den Auftrag erteilte.
Dann kam Rosländer, damit wurde alles anders. Als Schelling, der legendäre Salzhändler, zwei Boote ordern wollte, auf denen er künftig das Lüneburger Salz heranschaffen wollte, hatte er verdutzt auf Rosländers ausgestreckte Hand gestarrt. »Nehmt schon«, hatte der den Salzhändler aufgefordert, »das ist der Rosländer-Rabatt.«
Was klein begann, setzte sich im Großen fort. Bei jedem Schiff ließ sich Rosländer erst dann ein Angebot entlocken, wenn er wusste, wie viel die Konkurrenz verlangte. Dann griff er in die Kiste, die in seinem Bureau stand, griff, ohne hinzusehen, hinein und hielt dem Auftraggeber die Hand entgegen. »Nehmt schon, das ist der Rosländer-Rabatt.«
Schnell wurde der Rabatt in der Stadt zur stehenden Redewendung. Bei jedem Geschäft, ob groß, ob klein, ob es um eine Schiffsladung ging oder um ein Essen im Gasthaus – oft wurde ein ausgestreckter Arm mit dem Rosländer-Rabatt hingehalten. Es wurde Mode, billiger zu sein als die Konkurrenz. Mochte das im Gasthaus ohne Belang sein, so fuchste es bei größeren Beträgen den Kaufmann. Am allermeisten brachte es Schnabel in Brass. Ein halbes Dutzend Mal verlor er einen großen Auftrag an Rosländer – wegen einer lächerlichen Differenz im geforderten Preis. Schnabel tobte und stürmte in die Bureaus der Auftraggeber. »Warum tun wir uns das an?«, rief er anklagend, um sich zähneknirschend belehren zu lassen, dass ein Kaufmann dort einkauft, wo der Preis niedrig ist – zumal wenn es keine Unterschiede in Qualität und Lieferfrist gibt.
Zuerst hatte es Schnabel auf die plumpe Art versucht. Ein Fläschchen Wein, ein Fässchen Bier, eine Torte für die Frau Gemahlin, eine Schuluniform für den Sprössling. Die Beschenkten nahmen es an – und blieben bei Rosländer. Schnabel beschwerte sich und musste sich belehren lassen, dass man seine Bestechungsgeschenke als kleine Aufmerksamkeiten angesehen habe. Was man künftig nicht mehr tun werde. Der erzürnte Schnabel wurde den bohrenden Verdacht nicht los, dass Rosländer ihn auch bei den Geschenken ausgestochen hatte. Aber das konnte er nie beweisen. Für Schnabel war das nicht etwa der Beweis, einem Irrtum aufgesessen zu sein. Im Gegenteil: Sein Hass auf Rosländer wuchs und wuchs. Einmal, ein einziges Mal, ließ sich Schnabel in seinem Grimm dazu hinreißen, den Rivalen, nachdem er auf bewährte Weise seinen niedrigen Preis genannt hatte, erneut zu unterbieten. Einen größeren Fehler hatte Schnabel nie begangen. Noch zwei Jahre später verlangte man von ihm keck, die Preise auf geringem Niveau zu halten. Er habe es einmal getan, nun müsse er es immer tun.
Verwirrt blickte Schnabel von einem zum anderen. Besorgt blickten seine Gäste ihn an.
»Es ist nichts«, behauptete er und straffte sich. »Ich denke, wir haben es für heute auch so weit. Mir war wichtig, dass wir uns austauschen.«
Man beschloss, alle Fühler auszustrecken, vor allem aber wollte man die Werft im Auge behalten. Jeder kannte eine arme Seele, die für einige Münzen bereit war, die Augen offenzuhalten .
»Wir wär’s, wenn wir sie einfach fragen?«
Alle starrten Gleiwitz an.
»Ich meine ja nur«, wiegelte der ab. »Sie wird nicht die Wahrheit sagen. Niemand würde die Wahrheit sagen. Aber fragen kostet nichts.«
»Wir fackeln die Werft ab.«
Fassungslos starrten alle den vorlauten Werftbesitzer von der Elbe an.
»Abfackeln«, sagte Schnabel auf eine Weise, dass derjenige, der eben mit leuchtenden Augen das gleiche Wort herausposaunt hatte, es nie mehr mit so viel Gedankenlosigkeit herausblasen würde.
»Abfackeln also. Die Werft von Anna Rosländer. Mir würde selbst bei stundenlangem Nachdenken keine Lösung einfallen, die dümmer wäre.«
Der Redner knickte ein, aber Schnabel war noch nicht fertig.
»Anna als Opfer, das ist das, was man mit Geld nicht kaufen kann. Eine Stadt hat Mitleid mit einer Frau, die vor Kurzem ihren Mann verlor. Ein Brandstifter gibt ihr den Rest. Wunderbar. Hättet Ihr vielleicht Lust, jetzt in die Trave zu gehen und nie
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