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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Ihr damit?«
    »Ich meine, dass sie als junges Mädchen so noch nicht war. So wird man nur, wenn man bestimmte Menschen kennenlernt oder es vermeidet. Lernt man sie aber kennen, wird man unweigerlich beginnen, in eine bestimmte Richtung zu denken und in eine bestimmte Richtung zu handeln. Sicher wisst Ihr, an wen ich gerade denke.«
    Nun kokettierte er doch, kehrte den Charmeur heraus, küsste zwei Hände, und die fassungslose Trine wurde Zeugin, wie er die Witwe um den Finger wickelte. Der Kerl hatte ein Händchen für Frauen. Er hätte jede kriegen können – fast jede. Aber er hatte Trine gewählt. War das ein Grund, Stolz zu empfinden? Oder lieber starkes Misstrauen?
    Joseph sagte: »Ich habe mich tagelang darauf gefreut, was für dumme Gesichter die Herren Kaufleute und Händler machen werden, wenn sie sehen, dass ihr schlauer Plan nicht aufgeht. Jedem können sie Angst vor der Pest einjagen – nur nicht denen, die die Pest überlebt haben. Und jetzt stellt sich heraus, dass es gar keine Pest gibt. Natürlich freut mich das. Aber ein wenig Enttäuschung fühle ich auch.«
    »Und Ihr?«, fragte Trine Deichmann die Witwe, »was werdet Ihr jetzt tun?«
    »Na, was wohl? Da muss ich doch nicht überlegen. Wir bauen weiter!«
    Anna Rosländer hielt eine Rede vor allen Angestellten. Insgeheim fände sie es irritierend, innerhalb eines Tages eine Belegschaft zu besitzen, die sich ums Vierfache vergrößert hatte. Aber vor allem würde sie ein Gefühl des Aufbruchs verspüren.
    Im letzten Moment fingen sie Bürgermeister Goldinger ein, der sich gerade aus dem Staub machen wollte. Er musste die neuen Bürger begrüßen, und obwohl er den hässlichen Fratzen am liebsten geraten hätte, sich in ihren Urwäldern zu verstecken und nie mehr blicken zu lassen, rang er sich Sätze ab, in denen es um Lübeck ging und wie stolz man sein durfte, sich um Lübeck verdient zu machen. Mit jedem Satz wurde Goldinger ein Jahr älter. Er dachte: Das werden sie mir nie verzeihen. Er wusste nicht, wie recht er hatte.

34
    Hippolyt Vierhaus schlug auf die Pferde ein. Sie schnaubten und rührten sich nicht von der Stelle. Er schwang die Peitsche und stieß Rufe aus, die er bei Kutschern gehört hatte. Die Pferde schüttelten Kopf und Mähne.
    »Will es nicht klappen?«
    Vierhaus zog den Kopf zwischen die Schultern, riss an den Zügeln und hätte den faulen Schindmähren am liebsten das Messer in den Hals gesteckt.
    »Wir üben noch«, knurrte er. Er stieg vom Bock und achtete darauf, dass er keine falsche Bewegung machte. Bloß kein Fehler, während sie danebenstand . Einen Augenblick gönnte er sich den Gedanken, die Peitsche gegen seine Frau zu schwingen, und prallte vor der Kühnheit des Gedankens zurück. Er griff ins Geschirr und zog. Widerwillig bewegten sich die Tiere. Aber so ging es nicht.
    »Sind das Kleiderkisten?«
    Vierhaus riss am Geschirr. Das störrische Tier musste dafür büßen, dass er nicht längst über alle Berge war.
    »Ich konnte mich nicht entscheiden«, log er. »Da habe ich alles hineingeworfen.«
    »Du konntest dich also nicht entscheiden«, kam es als Echo. »Wieder mal. Möchtest du dich von deinen Kindern verabschieden?«
    »Das habe ich schon. Ich will sie nicht aufwecken. Sie brauchen ihren Schlaf.«
    »Sehr rücksichtsvoll von dir. Du bist wirklich ein guter Vater.«
    Dann standen sie sich gegenüber. Die Pferde stanken, er mochte den Geruch von Fellen.
    »Ich komme bald wieder«, behauptete er. »Sollten dir in der Zwischenzeit gemeine Gerüchte zu Ohren kommen, weißt du ja, was davon zu halten ist.«
    »Ich glaube kein Wort.«
    »Richtig.«
    »Weil ich dumm bin.«
    »Richtig. Äh, wie meinst du das?«
    Verächtlich winkte sie ab. Sie verschwand im Haus und ersparte ihm die Peinlichkeit, erneut Zeugnis von seiner Unfähigkeit abzulegen. Insgeheim hatte er darauf gewartet, dass sie fragen würde, warum er keinen Kutscher nahm. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie sich um ihn gesorgt. Aber früher war alles besser gewesen.
    Der Abend zog mit Macht herauf, als er endlich in die Gasse einbog. In der Werkstatt würden die Angestellten morgen den Brief mit den Anweisungen vorfinden. Es war nicht möglich, das Geschäft in vier Wochen herunterzuwirtschaften.
    Mit jedem Meter fühlte sich Vierhaus sicherer. Man musste die Viecher nur ins Laufen bringen, danach wurde es einfach. Den Kragen hochgeschlagen, den Hut in die Stirn gezogen, ließ er die Gegend hinter sich, in der er damit rechnen musste, erkannt zu

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