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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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taten nichts, worüber andere später sprachen. Ihr Leben hörte einfach auf, ohne dass sie zu atmen aufhörten. Anna Rosländer hatte vor der Witwenschaft ein öffentliches Leben geführt und sich allein dadurch von fast allen Ehefrauen unterschieden. Das Leben an der Seite eines Wilden wie Rosländer ließ ein anderes Verhalten wohl auch nicht zu, als graue Maus wäre Anna in den Boden getreten worden. Sie musste den Rücken gerade machen, um eine Persönlichkeit zu werden, die Rosländer schätzte.
    Aus handfesten Verhältnissen stammend, wusste Anna, wie man als Frau auftrat, Rechte einforderte und Freiraum erkämpfte. Frauen von Handwerkern führten, selbst wenn sie nicht im Geschäft mitarbeiteten, ein Leben an der Seite ihres Mannes. Sie standen einem großen Haushalt vor, selbst wenn sich die Zahl der Kinder in Grenzen hielt. Sie waren die Ansprechpartnerin für Mann und Geschäft, wenn sich der Mann tagsüber am Arbeitsplatz aufhielt. Die Frau war für Nachbarn, Bewohner und Kunden das Gesicht des Geschäfts. Undenkbar, einen Handwerksbetrieb ohne Frau zu betreiben. Es gab Männer, die es versucht hatten. Es war ihnen schlecht bekommen.
    Anna war der einzige Mensch gewesen, auf den Rosländer gehört hatte. Sie war imstande gewesen, den Gewalt- und Gefühlsmenschen zu lenken. Das war nicht mit Lächeln und Poesie möglich gewesen. Mehr als einmal waren harte Gegenstände am Kopf des Reeders gelandet, die ein zarterer Mann nicht überlebt hätte. Gewalt gehörte nicht zum Alltag, aber Anna wich der Gewalt nur einmal aus, beim zweiten Mal trat sie ihrem Mann entgegen. Er selbst hatte nie die Hand gegen sie erhoben, auch nicht, wenn die Eheleute unter sich gewesen waren. Anna hatte nie darüber gesprochen, wie hoch sie ihm das anrechnete. Sie war nicht sicher, ob er ahnte, dass sein erster Schlag das Ende der Ehe bedeutet hätte.
    Es war nicht ungehörig, sich in der Öffentlichkeit wieder sehen zu lassen. Es war nicht zu verurteilen, wenn dies in Gesellschaft eines Mannes geschah. Natürlich schauten alle genau hin. Da die Neugier aber nicht aufdringlich zur Schau gestellt werden durfte, war ein Gasthaus der ideale Ort, um die Lage zu peilen. An diesem Ort war einiges gestattet, was sich an anderen Schauplätzen verbot. Das Gasthaus war ein Ort außerhalb der Ordnung. Mit dem Betreten des Gasthauses erteilte man die Erlaubnis, sich anders zu verhalten als an anderen Orten. Niemand konnte ein Gasthaus betreten und fordern, dort müsse eine Atmosphäre wie beim Nachmittagstee herrschen. Der Norden lebte ein steiferes Leben als die warmen Regionen des Südens. Dort boten Fasching, Karneval und kirchliche Feste Gelegenheiten, Lebensäußerungen an den Tag zu legen, die vorher und hinterher nicht gern gesehen waren. Auch auf dem Land ging es froher zu. Zwar war dort im Alltag die Unterdrückung durch die Grundherren stärker, in der Zeit der Feste durften die Menschen aber über die Stränge schlagen, dass es eine Lust war. Manchmal dauerten die Aufräumungsarbeiten länger als das eigentliche Fest.
    Deshalb mochte man Gasthäuser. Dort durfte man zusehen, wie Anna und ihr Holzhändler nicht nebeneinandersaßen . Für jeden Menschen mit Lebenserfahrung war das der Beweis, wie nahe sie sich standen. Die Eheleute Wittmer saßen mit am Tisch sowie der Werftleiter und seine Frau, die immer dreinschaute, als habe sie gerade ihren Gatten zu Grabe getragen. Dabei saß er neben ihr. Querner war zugegen. Wie schaffte er es nur, jedes Mal eine andere Begleiterin aufzutreiben? Und was stellte er mit den Begleiterinnen an, dass sie nie ein zweites Mal mit ihm ausgehen mochten? Apollonia Wendt war auch dabei, niemand war über die Einladung verwunderter gewesen als die weit ausladende Intrigantin. Ihr Mann saß heute zum ersten Mal in der Fluchbüchse. Er war dem Schöpfer dankbar, dass er diesen Tag erleben durfte. Der Holzhändler, der den tödlichen Unfall von Hippolyt Vierhaus miterlebt hatte, war auch zugegen und schilderte wohl zum hundertsten Mal, wie sich alles zugetragen hatte. Seine Schilderung wies kaum noch Ähnlichkeit mit dem auf, was er am ersten Tag berichtet hatte.
    Trine Deichmann war nicht eingeladen worden, aber es verstand sich von selbst, dass sie auch anwesend war. Als Gattin des Wirts war ihre Gegenwart unvermeidlich, sie trank aber nicht mit, denn sie hatte Dienst. Bei den Delfs musste es jeden Moment so weit sein.
    Joseph Deichmann demonstrierte die hohe Schule des Bewirtens. Pausenlos war er

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