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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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unterwegs, hielt die Bedienungen an, wusste, wie die Lage in der Küche war und half, ein neues Fass anzustechen. Er war sich nicht zu schade, Asche zu entfernen und Schüsseln aufzutragen. Im Gegensatz zu manchem Lübecker Wirt, der sich benahm, als habe er ein Schweigegelübde abgelegt, war Deichmann ein Plauderer bester Schule. Neun von zehn Gästen kannte er mit Namen und die dazu gehörenden Geschichten auch. Oft war er über Geheimnisse informiert, die dieser Gast hegte und pflegte. Natürlich plauderte er sie nicht aus, für einen Wirt wäre das ein selbstmörderisches Verhalten gewesen. Aber zu jedem Satz, den er aussprach, kannte er den Hintergrund. Das steigerte Josephs geistreiche Art, und die gut Informierten gelangten an doppelte Unterhaltung.
    Der Reeder Schnabel war nicht zugegen, obwohl er eine Einladung erhalten hatte. Schnabel hielt das für einen schlauen Schachzug von Anna Rosländer. Zuerst hatte sie es mit Ausgrenzung versucht, jetzt war das Stadium der Umarmung dran. Wie sollte man einen Menschen angreifen, auf dessen Kosten man getrunken hatte? Schnabel war bereit, sich manchen Vorwurf gefallen zu lassen. Aber als habgierig wollte er nicht gelten. Mit süßsaurer Miene hatte er abgesagt und litt zu Hause Höllenqualen, denn seine Gattin hatte die Persiehls eingeladen. Mit Gerda Persiehl war sie in gemeinnützigen Dingen unterwegs, deren Einzelheiten sie ihrem Mann fünfmal erzählt und die er fünfmal vergessen hatte. Daniel Persiehl war ein Popelzähler und Rechthaber mit der Neigung, sich an Nebensächlichkeiten festzubeißen. Er ließ Schiffe auf Gläser, Teller und Münzen drucken und machte viel Geld damit. Schnabel kam das wie Spielzeug für Kinder vor. Für ihn verlor jedes Schiff, sobald man es verkleinerte, an Bedeutung. Seine Kinder spielten mit Holzschiffen, denen sie alle paar Wochen neue Namen gaben und einen frischen Anstrich gönnten. Das konnte Schnabel nachvollziehen. Eisbein von einem Teller essen zu müssen, auf dem ein Schiff durch die fette Sauce fuhr, fand er affig.
    Im Auftrag Schnabels weilten zwei Abgesandte in der Fluchbüchse. Der Reeder wusste, dass sie ihm morgen eine haarsträubende Rechnung präsentieren würden, die er zähneknirschend begleichen musste, weil er den Betrug nicht nachweisen konnte. Es ging ja auch um eine gerechte Sache: Man musste Anna Rosländer im Auge behalten. Der neue Mann war aus Gründen wichtig, die außer dem Reeder Schnabel kaum jemand einschätzen konnte. Solche Konstellationen schätzte Schnabel. Es brauchte noch etwas Zeit, bis alles greifen konnte, was in diesen Stunden vorbereitet wurde. Deshalb und nur deshalb ertrug er die Persiehls . Erstaunlich, dass diese Langweiler eine dermaßen temperamentvolle Meute von Kindern in die Welt gesetzt hatten. Vielleicht bezogen Kinder ihre Anlagen doch nicht nur von Vater und Mutter.

39
    Als Trine Deichmann ins Haus eilte, schlug die Uhr Mitternacht. Delf , der werdende Vater, stand zähneklappernd an der Tür, Trine spürte eine schweißnasse Hand und dachte: Noch drei Kinder und du hast alles im Griff. Sie kannte mehr als ein Paar, das mit jedem Kind kühler geworden war. Aufregung war immer im Spiel geblieben, aber diese fahrige Stotterei des schwitzenden jungen Vaters musste Trine Deichmann nicht jeden Abend haben. Das Natürliche durfte einen nicht überwältigen.
    Das Natürliche wartete in einem separaten Raum, in dem alles hergerichtet war. Die werdende Mutter hatte gut zugehört, als Trine bei früheren Besuchen berichtet hatte, welche Utensilien ihr die Arbeit erleichtern würden. Warmes Wasser vor allem, kein Zug von Fenster und Türen, Wärme, aber keine schweißtreibende Hitze; nicht zu viele Menschen, keine Betrunkenen, keine Klugschwätzer, keine unangenehmen Gerüche; Essen und Trinken in Reichweite, aber nicht neben dem Bett.
    Nichts fehlte, die beiden Frauen aus der Nachbarschaft waren richtig, was Alter, Kleidung und Nervengerüst betraf. Die junge Mutter atmete pfeifend, als müsse sie ein Segelschiff in Bewegung setzen.
    Das Söhnchen verließ den Leib und begann augenblicklich, ebenso pfeifend zu atmen. Jedenfalls dachten dies alle Zuschauerinnen, denn es spitzte den kleinen Mund genauso wie die Mutter. Es war eine Geburt wie aus dem Lehrbuch, ohne Misstöne, ohne Geschrei. Als der Vater herumging und jedem einen Schnaps spendierte, war auch dies angebracht. Lübeck war um einen Bürger reicher.
    Die Vorhänge wurden aufgezogen, die Nachtluft war belebend, im

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