Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
ich wusste, was ich suchen muss, wusste ich auch, wo ich suchen muss.«
Hinter den Landkarten auf dem Dachboden war sie fündig geworden. Die drei Frauen und Querner standen um den Tisch, auf dem die Scheine lagen. Die Handschrift war aus tausenden herauszufinden. Rosländer besaß eine Kinderhandschrift, und weil er nur mit äußerster Anspannung zu schreiben vermocht hatte, waren große Buchstaben seine Rettung gewesen. Anna hatte er den Grund gestanden: »Du brauchst viel Zeit, um den Buchstaben zu malen und kannst dir dabei schon Gedanken machen, wie du den nächsten in Angriff nimmst.«
Der Text auf den Scheinen war nicht identisch, aber in Sinn und Zweck unterschieden sie sich nicht. Bürger aus Lübeck hatten sich Geld von Rosländer geliehen. Der Zinssatz war so niedrig, dass man ihn nur symbolisch nennen konnte: »eins von 100«. Die Summen auf den Scheinen reichten von wenigen Talern bis zu 2.000 Talern.
»Wer leiht sich denn fünf Taler?«, fragte Querner kopfschüttelnd.
Wer sich das Geld geliehen hatte, blieb in keinem Fall zweifelhaft. Die Namen der Schuldner ließen keine Frage offen: Ferdinand von Waller , Haye Bosch, Donald Kapuzius , Hoimar Stuhl, Melchior Voigt. Vier Ratsherren, ein Kaufmann, jedem in der Runde waren sie von Angesicht bekannt. Zweien von ihnen hatten Trine und Katharina zu Stammhaltern verholfen. Wofür sie das Geld brauchten, darüber gaben die Dokumente keine Auskunft.
So überraschend dieser erste Teil des Textes war, so unfassbar setzte er sich fort. Denn der, der das Geld verliehen hatte, hieß nicht Rosländer. Anna musste mehrfach mit dem Finger auf die Unterschrift deuten, bevor sich den anderen das erschloss. So selbstverständlich war allen gewesen, dass Rosländer der edle Geber gewesen war, dass das Staunen jetzt umso größer ausfiel. Denn das Geld gegeben hatten Eugenie Schäfer, Vinzenz Nawka , Svante Leckebusch, Engelbert Kross und Sven-Eric Tannenbaum.
Verdutzt blickten sich die vier an.
»Das kann nicht sein«, sagte Anna Rosländer. »Jedes Wort auf diesen Scheinen stammt aus seiner Feder. Warum nicht auch die Unterschrift?«
»Vielleicht gefälscht?«, fragte Querner .
»Warum haben die Schuldscheine dann dort gesteckt, wo mein Mann seine wichtigen Dokumente aufbewahrte?«
»So etwas bewahrt doch immer ein Advokat auf«, sagte Katharina.
»Rosländer sah das umgekehrt. Je wichtiger, desto weniger Anwalt, pflegte er zu sagen. Weil man nie wusste, mit wem der Anwalt intim war. Was man aus der Hand gibt, darüber verliert man die Kontrolle.«
»Und wenn es ein Spiel war?«, fragte Trine unschlüssig. »Ein Spiel, das wir nicht kennen, das sich die Männer ausgedacht haben, wenn sie unter sich waren und getrunken hatten?«
Ein Spiel mit Schuldscheinen? Trine bestand nicht auf dieser Vermutung, die auch nur ein Ausfluss ihrer Verwirrung war.
Lange starrten sie die Namen an, die angeblich Summen bis zur Höhe von 2.000 Talern verliehen hatten.
»Unmöglich«, sagte Trine Deichmann. »Einer von uns müsste einen der Namen kennen.«
Querner unterbreitete einen Vorschlag, den man nicht ablehnen konnte. Nacheinander betraten alle einheimischen Mitarbeiter der Werft das Bureau und wurden mit den unbekannten Namen konfrontiert. Beim ersten Treffer glaubte man noch an Zufall oder Irrtum. Am Ende gab es vier Männer, die einen der Namen kannten, dreimal fiel das Erkennen auf Engelbert Kross. Beruf: Bettler. Wohnort: eine Kiste im Hafen. Anzutreffen: tagsüber vor der Schiffergesellschaft, abends in den Kaschemmen, nachts: vor den Kaschemmen und neben den Abfallhaufen. Bei den Ratten rechts.
H
»Der da! In dem langen Mantel, der so aussieht, als ob er mit ihm die Straße gewischt hat.«
Der Zimmermann wurde fuchsig, als sich in den Gesichtern seiner drei Begleiter keine Freude einstellen wollte.
»Denkt noch einmal nach«, forderte Querner ihn auf.
»Aber wenn er es doch ist!«, rief der Zimmermann und machte Anstalten, zum Bettler zu gehen. Der stand mit einer Gruppe anderer abgerissener Gestalten neben dem Eingang zum Gasthaus und wartete darauf, eine milde Gabe zu bekommen.
»Wartet«, sagte Trine, »lasst uns erst noch andere fragen, die sich in der Stadt auskennen.« Als sie das Gesicht des Zimmermanns sah, fügte sie eilig hinzu: »Damit wir sicherer sein können, dass Euer Gedächtnis Euch nicht täuscht.«
»Ihr glaubt mir nicht«, knurrte der Zimmermann und schlurfte eingeschnappt Richtung Werft zurück.
»Er kann nicht recht
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