Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
wand sich so lange, bis sie ihm klarmachte, dass weiterer Widerstand zwecklos war. Joseph Deichmann hatte an dem Abend, als Anna sein Gast gewesen war, intensiv mit Gewürzen hantiert. Er hatte sie in die Hände genommen und seinen Gästen vorgeführt, weil die Tischrunde neugierig auf die Quelle von Wohlgeruch und Geschmack geworden war. Später war Trine dem Geruch erneut begegnet. Er haftete an einem Ort, an dem sich seit Längerem niemand befunden hatte, der Träger der Gewürze sein konnte. Daher verdächtigte sie die Mitglieder von Annas Tischrunde oder den Wirt, der so freundlich gewesen war, die Gewürze zu präsentieren. Sie hatte in der Fluchbüchse herumgefragt: Der Wirt war eine halbe Stunde verschwunden gewesen. Angeblich hatte er einen betrunkenen Gast nach Hause geleitet, weil ihm dessen Wohlergehen am Herzen gelegen hatte. Andererseits hatte man Trine von mehreren Seiten bestätigt, dass Annas Tischrunde vollständig geblieben war, beinahe jedenfalls. Vorzeitig aufgebrochen war nur ein Paar, nicht mehr jung und von einschüchternd gutem Ruf. Als Einbrecher waren sie undenkbar.
Wer also kam in Frage als nächtlicher Besucher im Haus von Anna Rosländer?
Trine ließ Josephs Gesicht nicht aus den Augen.
Seine ersten Worte lauteten: »Ich, ein Einbrecher? Glaubst du das wirklich?«
»Ich glaube, dass du etwas laufen hast, was du niemandem verraten hast. So musst du mit dem Verdacht leben, ein gewöhnlicher Einbrecher zu sein. Du wusstest, dass Annas Haus leer stand, du wusstest, dass du dafür nur eine Stunde brauchen würdest. Wenn man sich sputet, ist man in wenig mehr als zehn Minuten von uns bei Annas Haus angekommen. Du hattest einen Schlüssel, und ich werde herausfinden, wie du es geschafft hast, der jungen Magd den Schlüssel abzuschwatzen. Wenn sie ihre Anstellung verliert, hast du dir zu lange Zeit gelassen, reinen Tisch zu machen.«
»Du gibst mir zu denken«, entgegnete er.
»Sag es«, forderte sie ihn auf. »Ich werde es Anna sagen, sie wird Verständnis haben. Vielleicht kommst du mit einer geringen Strafe davon.«
»Was wäre das für dich, eine geringe Strafe, mein liebes Weib?«
»Du wirst sie als Gast in der Fluchbüchse empfangen. Sie wird in großem Rahmen speisen, mit vielen Gästen, mehr als einen Abend. Sie wird nach Hause gehen, ohne zu bezahlen, und du wirst sie an der Tür mit einem Handkuss verabschieden.«
»Wie bei Fürstens ! Ein gut erzogener Wirt! Tu mir das nicht an!«
»Man kann seine Lippen nicht nur auf die weiche Haut junger Mägde drücken. Auch Witwen eignen sich dafür.«
»Was hältst du davon? Ich heirate Anna, und du wirst ein jederzeit gern gesehener Gast in unserem Haus?«
»Du, als Bürger? Du würdest dich zu Tode langweilen. Da könntest du ja gar nicht mehr deine dunklen Wege gehen.«
»Du hast recht. Vornehmer als ich heute bin, werde ich in meinem Leben nicht mehr werden, und will es auch gar nicht«, fügte er eilig hinzu, als zwei Augenbrauen, die nicht seine waren, in die Höhe stiegen.
Er bat um Bedenkzeit. Sie gewährte sie ihm und sagte: »Obwohl ich nicht weiß, wofür das gut sein soll. Musst du jemanden schützen? Ist es das? Hast du wieder die Arglosigkeit von jemandem ausgenutzt und musst ihn jetzt aus der Klemme herausholen, in die er ohne dich gar nicht hineingeraten wäre? Beantworte mir eine Frage: Was weißt du über den Spanier von Rosalia?«
»Spanier? Rosalia?«
»Joseph Deichmann, du hast schon besser gelogen.«
»Aber auch schon schlechter. Erinnerst du dich noch an Ostern vor zwei Jahren? In was für einer schlechten Form ich damals war? Oh, wie habe ich mich geschämt. Ich weiß, dass vieles schlechter geht, wenn man älter wird. Wie ist es mit dem Schwindeln? Lässt das auch nach?«
»Würde dich das nachdenklich machen?«
»Es würde mich ängstigen.«
45
An diesem Abend vertraute sich Anna Rosländer ihrem Gast an. Erst saß sie mit ihm auf dem Sofa und hielt seine Hände umfasst. Bald sprang sie auf und pilgerte unruhig durch den Raum.
»Ich kann nicht mehr schlafen«, sagte sie. »Ausgerechnet ich! Ich konnte immer gut schlafen, selbst in der ersten Zeit, als uns das Geschäft auf den Kopf zu stürzen drohte. Aber das lag daran, dass damals die Lage klar und eindeutig war. Jetzt ist alles verschwommen und heimlich.«
Er riet ihr, sich zu beruhigen. Sie müsse Geduld haben, alles werde sich aufklären, vor allem treffe sie persönlich ja kein Vorwurf. Sie würde alles abbekommen, was eigentlich für
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