Die Adlon - Verschwoerung
Lippenstift nachgezogenen Mund.
Ich erhob mich, wischte mir die Hände ab und machte den gleichen lahmen Witz wie zuvor, über dekadente Literatur, und er klang beim zweiten Mal auch nicht lustiger. Nicht in diesem Haus. In einer Ecke des Zimmers stand ein Tisch mit einem Radio darauf sowie einer kleinen Fotografie von Hitler und eine Schale mit Früchten.
«Wir sind eigentlich nicht so hier in diesem Viertel», sagte sie mit verschränkten Armen und starrte ins Feuer. «Sie haben vor anderthalb Jahren ein paar Bücher vor dem Bischofspalast verbrannt, aber nicht hier. Nicht in Ost-Würzburg.»
Es klang, als wären wir in Paris.
«Und ich nehme an, der gelbe Stern auf dem Haus gegenüber ist nichts weiter als ein Lausbubenstreich», sagte ich.
Frau Rubusch lachte auf, doch sie schlug höflich eine Hand vor den Mund, sodass ich ihre Zähne nicht ansehen musste (die perfekt und weiß wie Porzellan waren, wie Puppenzähne). Tatsächlich erinnerte sie mich an eine Porzellanpuppe mit ihren nachgezogenen, schmalen Augenbrauen, den feinen Gesichtszügen, den rot geschminkten Wangen und ihrem Haar. «Das ist kein Davidsstern», sagte sie durch die Finger hindurch. «Der Mann, der in diesem Haus wohnt, ist Direktor der Würzburger Hofbräu, der städtischen Brauerei. Der Stern ist das Markenzeichen der Brauerei.»
«Vielleicht sollte er die Nazis verklagen, weil sie sein Urheberrecht verletzen.»
«Apropos: Mögen Sie einen Klaren?»
Neben dem Tisch stand ein dreistöckiger Servierwagen voll einladender Flaschen. Sie schenkte zwei große Gläser voll, reichte mir eins mit ihrer winzigen, mageren Hand, setzte sich auf das Sofa, trat die Schuhe von den Füßen, zog die Beine hoch und schob sie unter ihr mageres kleines Hinterteil, sie saß auf dem Sofa, akkurat wie zusammengelegte Wäsche.
«In Ihrem Telegramm stand, dass Sie mich wegen meines verstorbenen Ehemanns zu sprechen wünschen.»
«Das ist richtig. Mein herzliches Beileid, Frau Rubusch. Es muss ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein.»
«Das war es.»
Ich steckte mir eine Zigarette an, inhalierte den Rauch durch die Nase und nahm einen großen Schluck von meinem Schnaps. Ich war nervös, weil ich im Begriff stand, dieser Frau zu erzählen, dass ihr Mann vielleicht ermordet worden war. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie ihn gerade erst beerdigt hatte in dem Glauben, er wäre an einem zerebralen Aneurysma gestorben. Ich leerte den Rest des Glases.
Sie bemerkte meine Nervosität. «Nehmen Sie sich noch einen», sagte sie. «Vielleicht geht es Ihnen dann besser, und Sie können mir verraten, was den Hoteldetektiv des Adlon den ganzen Weg von Berlin hierhergeführt hat.»
Ich ging zum Servierwagen und füllte mein Glas nach. Neben dem Foto von Hitler stand ein gerahmtes Bild eines jüngeren, schlankeren Heinrich Rubusch.
«Ich weiß wirklich nicht, warum Heinrich dieses Foto dort aufgestellt hat. Das Foto von Hitler, meine ich. Wir waren nie politisch. Und es ist nicht so, als hätten wir häufig Gäste und versucht, andere zu beeindrucken. Ich nehme an, er hat es aufgestellt für den Fall eines unerwarteten Besuchs. Sodass der Besuch, wenn er das Haus wieder verlässt, den Eindruck mitnimmt, dass wir gute Deutsche sind.»
«Dazu muss man kein Nazi sein», entgegnete ich. «Obwohl es hilft, wenn man bei der Polizei ist. Ich war Kripo-Beamter in Berlin am Alexanderplatz, bevor ich Hoteldetektiv wurde.»
«Und Sie glauben, mein Ehemann wurde ermordet. Ist es das?»
«Ich halte es für eine Möglichkeit, ja.»
«Ich muss gestehen, das ist eine Erleichterung.»
«Verzeihung?»
«Heinrich ist immer im Adlon abgestiegen, wenn er geschäftlich in Berlin war. Ich dachte schon, er hätte Handtücher gestohlen.» Sie wartete eine Sekunde, bevor sie lächelte. «Das war ein Scherz.»
«Gut. Ich hatte gehofft, dass es einer war. Nur, dass Sie gerade erst frisch verwitwet sind, und ich nahm an, dass Ihnen der Sinn für Humor für eine Weile abhandengekommen wäre.»
«Bevor ich meinen Mann kennengelernt habe, habe ich eine Sisalplantage in Ostafrika geleitet, Herr Gunther. Mit vierzehn Jahren habe ich den ersten Löwen erschossen. Und ich war fünfzehn, als ich meinem Vater während des Maji-Maji-Aufstands geholfen habe, eine Rebellion niederzuschlagen. Ich bin nicht aus Zucker, auch wenn ich so aussehe.»
«Gut.»
«Haben Sie aufgehört bei der Polizei, weil Sie kein Nazi sind?»
«Ich habe gekündigt, bevor man mich rauswerfen konnte.
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