Die Adlon - Verschwoerung
Zug drei Stunden. Wir hielten in jeder Ortschaft entlang dem Maintal, und wenn ich nicht aus dem Fenster starrte und die Landschaft bewunderte, schrieb ich an einem Brief. Ich schrieb mehrere Fassungen. Ich hatte diese Art von Brief noch nie zuvor geschrieben, und ich war alles andere als glücklich darüber - trotzdem musste er geschrieben werden. Irgendwie schaffte ich es, mir einzureden, dass der Brief eine Lebensversicherung für mich war.
Ich hätte mich nicht für andere Frauen interessieren sollen, doch so war es. In Frankfurt folgte ich einer Frau über den Bahnsteig, die gebaut war wie ein Cello von Stradivari, und dann spürte ich einen enttäuschten Stich, als sie in das Damenabteil stieg. Ich blieb in einem Erste-Klasse-Raucherabteil, wo mir ein Geschäftsmann mit einer Pfeife in der Form eines Tenorsaxophons Gesellschaft leistete sowie ein sa-Führer mit zeppelingroßen Zigarren, die tödlicher stanken als der Qualm der Lok. In den acht Stunden von Frankfurt nach Berlin erzeugten wir eine ganze Menge Qualm - beinahe so viel wie die Rioi von Borsig, die unseren Waggon zog.
Es schüttete aus Eimern, als wir endlich Berlin erreichten. Ich hatte ein Loch in der Schuhsohle und musste am Taxistand vor dem Bahnhof in einer Schlange warten. Der Regen prasselte auf das Glasdach und tropfte auf den herab, der ganz vorn in der Schlange stand. Die Taxifahrer bemerkten es nicht, oder sie taten so, was bedeutete, dass sie immer bis zur gleichen Stelle vorfuhren und der Nächste in der Schlange wohl oder übel eine Dusche nahm, bevor er einsteigen konnte. Wie in einem Film mit Laurel und Hardy. Als ich an der Reihe war, schlug ich meinen Mantel über den Kopf und duckte mich in den Wagen; es gelang mir, einen kompletten Hemdsärmel zu waschen, ohne dafür in die Wäscherei zu gehen. Wenigstens schneite es noch nicht; dafür war es noch zu früh im Winter. Wann immer es in Berlin schneite, fühlte man sich daran erinnert, dass die Stadt zweihundert Kilometer näher an Moskau als an Madrid liegt.
Die Geschäfte hatten bereits geschlossen. Ich hatte keinen Schnaps zu Hause und verspürte keine Lust, in eine Kneipe zu gehen. Ich nannte dem Fahrer das Adlon als Fahrtziel - mir war eingefallen, dass ich dort noch eine halbe Flasche Bismarck in meinem Büro in der Schreibtischschublade hatte. Und zwar ebenjene Flasche, die ich von Fritz Muller konfisziert hatte. Ich würde genug trinken, um mich aufzuwärmen - und um Mut zu fassen, meine Kenntnisse in Maschinenschrift in der Suite von Max Reles auf die Probe zu stellen, sollte er gerade nicht im Haus weilen.
Im Hotel herrschte Hochbetrieb. Im Raphael-Saal war eine Feier zugange, und im Restaurant saßen zahlreiche Gäste. Dichte Schwaden von Tabak quollen aus der Tür des Lesesaals wie ein Federbausch aus dem Bett der Freija in Asgaard. Ein Betrunkener mit Frack und weißer Fliege hielt sich am Tresen des Empfangsschalters fest und beschwerte sich lautstark bei Pieck, dem stellvertretenden Geschäftsführer, dass der Phonograph in seiner Suite nicht funktionierte. Ich konnte seinen Atem bis zur anderen Seite der Eingangshalle riechen. Noch während ich hinzueilte, um behilflich zu sein, kippte der Mann hintenüber, als wäre er an den Knöcheln abgesägt worden. Zu seinem Glück knallte er auf einen Teppich, der noch dicker war als sein Schädel. Der Kopf prallte einmal zurück, dann lag er still. Es sah aus wie ein perfekt nachgestelltes K. o. von einem Kampf, den ich einmal in der Wochenschau gesehen hatte. Damals hatte Madcap Maxie Baer in San Francisco Frankie Campbell auf die Bretter geschickt.
Pieck stürzte um seinen Schalter herum und wollte dem Gast zu Hilfe kommen. Ein paar Pagen taten es ihm gleich, und im allgemeinen Durcheinander gelang es mir, den Schlüssel von Suite 114 vom Haken zu nehmen und in meine Tasche fallen zu lassen, bevor ich neben dem Bewusstlosen niederkniete und seinen Puls kontrollierte.
«Gott sei Dank, dass Sie wieder da sind, Herr Gunther», sagte Pieck.
«Wo ist Stahlecker?», fragte ich. «Der junge Mann, der mich vertreten sollte?»
«Wir hatten vorhin einen Zwischenfall in der Küche. Zwei Männer von der Brigade sind in Streit geraten, und es gab eine Schlägerei. Der Rotisseur ist mit einem Messer auf den Konditor losgegangen. Herr Stahlecker hat die beiden Streithähne getrennt.»
Die «Brigade» war der Küchenstab des Hotels.
«Er wird es überleben», sagte ich und ließ den Betrunkenen los. «Er ist ohnmächtig, das ist
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