Die Adlon - Verschwoerung
alles. Er riecht wie die Schnapsakademie in Oberkirch. Wahrscheinlich könnte man ihm eine Hutnadel in den Hintern schieben, und er würde es nicht spüren. Treten Sie ein Stück zurück, ich nehme ihn hoch und bringe ihn in sein Zimmer, wo er seinen Rausch ausschlafen kann.»
Ich packte den Mann im Genick am Frackkragen und schleifte ihn zum Aufzug.
«Meinen Sie nicht, Sie sollten den Lastenaufzug nehmen?», protestierte Pieck. «Einer der anderen Gäste könnte Sie sehen.»
«Wollen Sie ihn zum Lastenaufzug tragen?»
«Äh ... nein. Ich glaube, nicht.»
Ein Page kam mit dem Zimmerschlüssel hinter mir her. Ich gab ihm den Brief, den ich im Zug verfasst hatte.
«Wirf das bitte in den Briefkasten junge. Aber nicht hier im Hotel. Nimm den Briefkasten um die Ecke, vor dem Postamt in der Dorotheenstraße.» Ich griff in meine Tasche und gab ihm fünfzig Pfennig. «Hier. Das ist für dich. Und nimm einen Schirm mit, es regnet.»
Ich zerrte den immer noch bewusstlosen Gast in den Lift und warf einen Blick auf die Nummer am Schlüsselanhänger. «Dreiundzwanzig», sagte ich zu Wolfgang.
«Dreiundzwanzig, der Herr. Bitte sehr», antwortete Wolfgang und schloss die Tür.
Ich bückte mich, zerrte den Bewusstlosen hoch und hievte ihn mir über die Schulter.
Einige Minuten später lag er auf seinem Bett, und ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, bevor ich mich aus einer Flasche Korn bediente, die offen auf dem Boden stand. Er brannte nicht in der Kehle. Das hier war das sanfte, teure Zeug, das man genoss, während man ein gutes Buch las oder einer Improvisation von Schubert lauschte, nicht das, was man brauchte, um mit einer unglücklichen Liebesgeschichte fertigzuwerden. Seinen Zweck erfüllte der Drink dennoch, als er mir durch meine Kehle rann, denn es gelang mir, meine Schuldgefühle zu ignorieren, die mich wegen des Briefs plagten, halbwegs zumindest.
Ich nahm den Telefonhörer ab und bat eine der Telefonistinnen mit verstellter Stimme, mich mit Suite 114 zu verbinden. Sie ließ es eine ganze Weile klingeln, bevor sie in die Leitung zurückkehrte, um mir zu sagen, was ich bis dahin bereits wusste, dass nämlich niemand abhob. Ich bat sie, mich zum Concierge durchzustellen, und Franz Joseph meldete sich.
«Ich bin es, Bernhard Gunther.»
«Hallo! Ich habe gehört, dass Sie zurück sind. Ich dachte, Sie wären in Urlaub?»
«War ich auch. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Zu Hause ist mir die Decke auf den Kopf gefallen. Wissen Sie zufällig, wo Herr Reles heute Abend weilt?»
«Er hat eine Verabredung zum Abendessen bei Habel. Ich habe den Tisch für ihn reserviert.»
Das Habel Unter den Linden mit dem historischen Schankraum und den astronomischen Preisen war eins der ältesten und vornehmsten Restaurants von ganz Berlin. Genau die Sorte von Restaurant, die Reles bevorzugte.
«Danke, Franz.»
Ich öffnete dem inzwischen schlafenden Betrunkenen den Hemdenkragen und drehte ihn auf die Seite. Ich dachte kurz nach, dann drehte ich den Verschluss auf die Schnapsflasche und schob sie mir auf dem Weg nach draußen in die Manteltasche. Sie war noch zu mehr als zwei Dritteln voll, und ich dachte, dass er mir zumindest so viel schuldig war, ob es ihm nun passte oder nicht.
Kapitel 30
Ich öffnete die Tür zu Suite 114 und schloss sie hinter mir wieder, bevor ich das Licht einschaltete. Das französische Fenster stand offen, und es war kalt im Raum. Die Gardinen blähten sich wie Segel hinter dem Sofa, und der starke Regen hatte eine Ecke des teuren Teppichbodens durchnässt. Ich schloss die Fenster. Es würde Reles nicht auffallen - er würde annehmen, dass ein Zimmermädchen hier gewesen sei.
Mehrere Pakete lagen offen auf dem Boden. Jedes einzelne enthielt einen fernöstlichen antiken Kunstgegenstand sorgfältig in ein Nest aus Holzwolle gelegt. Ich trat näher und nahm einen der Gegenstände in Augenschein. Es war eine Bronzestatue - vielleicht war sie auch aus Gold - mit zwölf Armen und vier Köpfen, ungefähr dreißig Zentimeter hoch. Sie schien einen Tango zu tanzen mit einem recht spärlich bekleideten Mädchen, das mich stark an Anita Berber erinnerte. Anita war die Königin der Berliner Nackttänzerinnen gewesen. Sie war in der Weißen Maus in der Jägerstraße aufgetreten - bis zu jener Nacht, in der sie einen der Gäste mit einer leeren Champagnerflasche niedergestreckt hatte. Die Geschichte dahinter: Er hatte Einwände gehabt, dass sie auf seinen Tisch pinkelte, was ihre Masche gewesen
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