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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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war vielleicht ebenfalls Schweiß, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls stammte er nicht von einem der muskelbepackten Trainierenden, die im Sparring standen oder sich an den schnellen kleinen Maisbirnen müde arbeiteten. Im Hauptring stand ein Mann mit einem Gesicht wie ein Medizinball und schrubbte Blut vom Bodenbelag. In einer Tür, die zu einem kleinen Büro führte, stand ein Kerl, der aussah wie ein Neandertaler, ein Eckenmann vielleicht, der einem Höhlenbewohner-Kollegen zeigte, wie man ein Kühleisen handhabte. Blut und Eisen. Bismarck hätte dieses Studio geliebt.
    Zwei Dinge sprangen mir ins Auge, die sich seit meinem letzten Besuch in diesem Studio verändert hatten: zwei große Plakate an der Wand. Auf einem stand unter neuer Leitung, auf dem anderen deutsche, wehrt euch! juden sind nicht willkommen.
    «Das war's dann wohl», sagte ich mit einem Blick auf die Plakate.
    «Ich dachte, Sie hätten erzählt, dieses Studio gehörte einem Türken?», sagte sie.
    «Nein, er hat sich nur so genannt. In Wirklichkeit ist er Deutscher.»
    «Falsch», sagte ein Mann, der sich uns näherte. «Er ist Jude.» Es war der Neandertaler, den ich schon bemerkt hatte - aus der Nähe betrachtet ein Stück kleiner als gedacht, aber so breit wie ein Scheunentor. Er trug einen weißen Rolli, lange weiße Sporthosen und weiße Turnschuhe, doch seine Augen waren klein und so schwarz wie zwei Kohleklumpen. Er erinnerte mich an einen mittelgroßen Eisbären.
    «Daher das Schild, schätze ich», sagte ich zu niemandem direkt, bevor ich mich an den Niemand in dem Rolli wandte. «Hey, Primo, hat der Türke den Laden etwa verkauft - oder hat ihn sich jemand einfach unter den Nagel gerissen?»
    «Ich bin der neue Besitzer», sagte der Neandertaler, drückte die Brust heraus und reckte mir sein toilettensitzgroßes Kinn entgegen.
    «Nun, das beantwortet meine Frage, Primo.» «Ich hab Ihren Namen nicht mitbekommen.» «Gunther. Bernhard Gunther. Und das hier ist meine Tante Hilda.»
    «Sind Sie ein Freund von Solly Mayer?» «Von wem?»
    «Ich schätze, das beantwortet meine Frage, Gunther. Solly Mayer war der richtige Name des Türken.»
    «Ich hatte gehofft, er könnte mir dabei helfen, jemanden zu identifizieren, das ist alles. Jemanden, der mal Boxer war, wie der Türke selbst. Ich habe hier eine Fotografie.» Ich nahm das Bild von «Fritz» aus der Akte und zeigte es dem Neandertaler. «Vielleicht werfen Sie ja selbst mal einen Blick drauf, Primo.»
    Ich muss gestehen, er sah sich das Foto an, als wollte er uns tatsächlich helfen.
    «Ich weiß, er sieht nicht gerade berauschend aus. Das liegt daran, dass er schon ein paar Tage im Kanal gelegen hat, als dieses Foto gemacht wurde.»
    «Sind Sie von der Polizei?»
    «Privat.»
    Ohne den Blick von der Fotografie abzuwenden, schüttelte er den Kopf. «Im Kanal hat er gelegen, sagen Sie?»
    «Das ist richtig. Ungefähr dreißig Jahre alt.»
    «Vergessen Sie's. Wenn Ihre Wasserleiche ein Jude war, dann bin ich froh, dass er tot ist. Dieses Plakat an der Wand ist kein Witz, wissen Sie, Schnüffler?»
    «Tatsächlich? Ich finde es rasend komisch.»
    Ich schob das Foto zurück in die Akte und reichte sie Mrs. Charalambides, nur für den Fall. Der Rolli sah aus wie ein Mann, der Druck aufbaute, um jemanden zu schlagen, und dieser Jemand war ich.
    «Wir mögen keine Juden, und wir mögen keine Leute, die anderer Leute Zeit damit verschwenden, nach irgendwelchen Juden zu suchen. Abgesehen davon, Schnüffler, ich mag es nicht, Primo genannt zu werden.»
    Ich grinste ihn an und dann Mrs. Charalambides. «Jede Wette», sagte ich zu ihr. «Jede Wette, dass der Präsident der aoa nie einen Fuß in diesen Laden gesetzt hat.»
    «Noch so ein dreckiger Jude?»
    «Ich denke, wir gehen jetzt besser», sagte Mrs. Charalambides. «Ja, gehen wir», räumte ich ein. «Es stinkt nämlich ganz gewaltig hier drin.»
    Im nächsten Moment holte er mit der Rechten zu einem Schwinger gegen mich aus, doch ich war darauf vorbereitet, und seine vernarbte Faust sauste an meinem Ohrläppchen vorbei wie ein fehlgeleiteter Hitlergruß. Er hätte zuerst die Führhand benutzen sollen und eine Gerade schlagen - mich prüfen, bevor er den ganzen Spülstein in meine Richtung schleuderte. Jetzt war es zu spät, und ich wusste alles über ihn, was ich wissen musste - was seine Qualitäten als Boxer anging jedenfalls. Der Mann war für die Ecke gemacht, nicht für den Ring. Als ich noch Kriminalkommissar gewesen war, hatte ich

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