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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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dieses Boxstudio gehen.»
    «Was halten Sie davon, wenn Sie allein in das Studio gehen und ich derweil ein wenig bummle? Ich habe einen Fleck auf meiner Krawatte entdeckt und brauche dringend eine neue.»
    «Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, Herr Gunther. Sie wissen wirklich nicht viel über Frauen, wenn Sie glauben, dass ich nicht mit Ihnen in diese Boxhalle gehe.»
    «Wer hat behauptet, ich verstünde etwas von Frauen?», brummte ich schulterzuckend. «Ich weiß über die Frauen nur eines mit Sicherheit, dass sie mit vor der Brust verschränkten Armen über die Straße laufen. Männer tun so etwas nie. Es sei denn, sie sind schwul.»
    «Sie hätten Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, und ich würde Sie nicht bezahlen. Klingt das besser?»
    «Ah, ich bin froh, dass Sie dieses Thema erwähnen, Mrs. Charalambides. Wie viel gedenken Sie mir eigentlich zu zahlen? Wir haben nicht über mein Honorar gesprochen.»
    «Was hielten Sie für angemessen?»
    «Das ist eine schwierige Frage. Ich habe nicht viel Übung darin, angemessen zu sein. Angemessen ist ein Wort, das ich benutze, wenn ich Maßanzüge sehe, aber nicht, um eine Frau zu beschreiben, die in Not ist.»
    «Warum betrachten Sie mich nicht als so eine Frau und nennen dann Ihren Preis?»
    «Wenn ich Sie so betrachten würde, dürfte ich Ihnen gar nichts berechnen. Ich wüsste nicht, dass Lohengrin zehn Mark am Tag von Elsa haben wollte.»
    «Vielleicht hätte er das besser getan. Dann hätte er sie nicht verlassen.»
    «Sie haben recht.»
    «Nun denn, sagen wir also zehn Mark am Tag plus Spesen.»
    Sie lächelte - ihr Zahnarzt war offensichtlich auch in sie verliebt -, dann nahm sie meinen Arm. Sie hätte den anderen auch gleich nehmen können, und ich hätte nichts dagegen gehabt. Was brauchte ich zehn Mark am Tag, wenn ich ihr nah genug sein durfte, um sie zu riechen und den einen oder anderen flüchtigen Blick auf ihre Strumpfbänder zu erhaschen, während sie in Behlerts Wagen stieg? Wir wandten uns vom Schaufenster ab und begaben uns zum Eingang der Boxhalle.
    «Dieses Studio gehört einem ehemaligen Boxer, der als der bekannt ist. Die Leute nennen ihn kurz den Türken und weil sie ihm nicht auf den Schlips treten wollen. Er tritt nämlich gerne Leuten auf den Schlips, die ihm auf die Füße treten. Ich war nicht oft hier, weil dieses Studio mehr von Berliner Prominenten und Künstlern besucht wird als von Mitgliedern der Berliner Ringe.»
    «Ringe? Was für Ringe?»
    «Sie haben nichts mit Olympia zu tun, so viel steht fest. Die Ringe sind die kriminellen Bruderschaften, die diese Stadt während der Weimarer Republik mehr oder weniger beherrscht haben. Es gab drei große Ringvereine - die Immertreu, die Freien und die Freie Allianz. Sie alle waren offiziell als gemeinnützige Vereine oder Sportvereine eingetragen. Einige firmierten als Boxclubs, und jeder zahlte Schutzgelder an sie. Türsteher, Schuhputzer, Prostituierte, Toilettenfrauen, Zeitungsjungen, Blumenverkäufer, was auch immer. Alles unter dem Druck von Muskelmännern aus den Sportclubs. Die Ringe existieren immer noch, aber sie müssen inzwischen selbst an eine neue Bande Schutzgeld zahlen. Eine Bande, die mehr Macht hat als jede andere. Die Nazis.»
    Mrs. Charalambides lächelte und packte meinen Arm fester, und ich bemerkte zum ersten Mal, dass ihre Augen so blau waren wie Ultramarin in einer alten Handschrift und genauso beredt. Sie mochte mich, das war nicht zu übersehen.
    «Wie haben Sie es nur geschafft, nicht ins Gefängnis zu kommen?», fragte sie.
    «Indem ich nicht gesagt habe, was ich denke», antwortete ich und stieß die Tür zum Studio für Boxen und Leibeszucht auf.
    Ich war noch nie durch die Tür eines Boxstudios gegangen, das mich nicht an die Wirtschaftskrise erinnert hätte. Hauptsächlich wegen des Geruchs und der frischen Schicht kotzgrüner Farbe und des schmuddeligen offenen Fensters. Wie jedes andere Studio und jede andere Halle, die wir im Verlauf der Woche besucht hatten, roch es im Studio für Boxen und Leibeszucht nach körperlicher Mühsal, hochfliegenden Hoffnungen und tiefster Enttäuschung, nach Urin und billiger Seife und Desinfektionsmittel und vor allem nach Schweiß. Schweiß an den Seilen, Schweiß an den Handgriffen, an den Bandagen, den schweren Sandsäcken und den Pratzen, Schweiß in den Handtüchern und an den Kopfschützern. Ein großer dunkler Fleck auf einem Plakat für einen bevorstehenden Kampf in der Berliner Bockbrauerei

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