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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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nicht, wo sie anfangen sollte. Keine der Nonnen, die ihre Ankunft vor fünfundzwanzig Jahren miterlebt hatten, lebte noch im Kloster. Einige waren gestorben, andere waren an andere Orte geschickt worden. Sie hatte also nicht den entferntesten Anhaltspunkt, an den sie sich klammern konnte.
    Eines Tages, sie stutzte gerade den Jasmin, mit dem sie so liebevolle Erinnerungen verband, als ihr blitzartig ein Gedanke durch den Kopf schoss: die Archive! Sie war so überrascht, dass sie die Gartenschere zwischen die Blumen fallen ließ. Wieso hatte sie nicht früher daran gedacht? In der Klosterbibliothek wurden Register von allen Ereignissen aufbewahrt, natürlich auch von der Ankunft neuer Novizinnen, ihre Namen, Familien, Geburtsdaten und Geburtsorte. Sie ließ die Schere Schere sein und rannte davon. Unterwegs begegnete ihr Joaquina, die entgegen ihrer Gewohnheit gemächlich den Flur entlangschlenderte. María winkte ihr zu und lief weiter, während die Pförtnerin verdutzt zurückblieb.
    Im Skriptorium befanden sich mehrere Nonnen und Novizinnen, die studierten und Manuskripte kopierten. Sie wandte sich an Teresa, die Bibliothekarin, und bat sie, ihr die Register der Novizinnen zu zeigen.
    »Welche Register meint Ihr, Doña María?«
    »Jene, in denen die Angaben über die neuen Novizinnen vermerkt sind, die ins Kloster eintreten«, antwortete sie und wünschte, sie hätte selbst danach gesucht.
    »Von diesem oder dem vergangenen Jahr?«
    Sie atmete tief durch, bevor sie antwortete. Sie wollte nicht neugierig oder ungeduldig erscheinen.
    »Ich meine die Register im Allgemeinen«, sagte sie, »und insbesondere jene von vor etwa fünfundzwanzig Jahren.«
    »Fünfundzwanzig Jahre?«
    In ihrer Überraschung hob die Bibliothekarin die Stimme und die übrigen sahen von ihren Arbeiten auf.
    »Ja, fünfundzwanzig Jahre.« María senkte die Stimme. »Ich muss… nun… ich arbeite an einer Rekopilation und…«
    »Aber fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit und…«
    »Ich brauche diese Archive.«
    Ihr fester, entschlossener Ton erinnerte daran, dass sie die Äbtissin war und keine Nonne ihren Befehlen auch nur im Leisesten zu widersprechen hatte. Teresa senkte fügsam den Kopf, erhob sich von dem Pult, an dem sie gearbeitet hatte, und bat sie, ihr zu folgen. Sie entzündete eine Kerze und ging zu den Bücherschränken am Ende des Saales, gefolgt von María und den neugierigen Blicken der übrigen Nonnen, die sich sofort wieder an ihre Arbeit machten, als sie dem Blick der Bibliothekarin begegneten.
    Die Bücherschränke befanden sich im dunkelsten Teil des Skriptoriums. Bücher, Handschriften, Urkunden, Vermächtnisse und andere Dokumente waren sorgfältig nach Jahren und Gebieten geordnet. Teresa war seit Jahren für die Bücher zuständig und kannte alles, was dort verwahrt wurde wie im Schlaf. Sie nahm einen alten Schemel und stieg darauf, um gleich in einem der oberen Fächer zu suchen.
    »Vor fünfundzwanzig Jahren… das muss im Jahr des Herrn 1484 gewesen sein, nicht wahr?«, fragte sie, während sie mit der Kerze in die Schränke leuchtete.
    »Ja. Gebt mir die Archive der Jahre 1483 und 1484. Möglicherweise finde ich in einem von ihnen das, wonach ich suche.«
    Sie log ganz selbstverständlich und ohne Schuldgefühle. Schließlich und endlich hatte sie keine Rechenschaft darüber abzulegen, was sie suchte, und zum anderen war es eigentlich keine Lüge. Sie wusste nicht, wonach sie suchte, aber sie vertraute ganz fest darauf, dass in diesen alten Unterlagen etwas zu finden war. Sie war sehr ungeduldig und fürchtete, dass man es ihr zu sehr ansah. Abwesend blätterte sie in den Dokumenten aus den unteren Regalen. Jahrbücher, Rechnungsbücher, Mappen mit Schriftwechseln, Grundbücher und andere Schriftstücke waren fein säuberlich aufgestapelt, auch wenn deutlich zu sehen war, dass an vielen von ihnen die Ratten ihre Zähne gewetzt hatten. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Lederumschlag. Er war mit den Jahren dunkel geworden und mit einem gleichfalls ledernen Bändchen umwickelt. Im Gegensatz zu den übrigen Schriftstücken trug er keinen Vermerk, der auf seinen Inhalt hingedeutet hätte. Sie versuchte den Knoten des Bändchens zu lösen, doch dieser war verschimmelt. Die Stimme der Bibliothekarin erinnerte sie wieder daran, weshalb sie hergekommen war.
    »Ich bin schon fündig geworden, Doña María.«
    Zwei Mappen in der Hand, stieg sie von dem Schemel und schenkte ihr ein breites Lächeln. Es bestand kein Zweifel,

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