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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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dass sie sehr stolz war, die Wünsche der Äbtissin so schnell erfüllt zu haben.
    »Hier sind sie!«, rief sie, zufrieden mit sich selbst. »Soll ich Euch bei Eurer Suche behilflich sein?«
    »Nein, danke«, antwortete María hastig. »Ich werde sie aufmerksam studieren und sie Euch zurückbringen, sobald ich damit fertig bin.«
    Sie lächelte die Bibliothekarin an, nahm die Mappen und wandte sich zum Gehen, umso schnell wie möglich in ihr Studierzimmer zurückzukehren. Da fiel ihr der kleine Lederumschlag wieder ein und sie machte kehrt.
    »Dieses Dokument möchte ich ebenfalls mitnehmen«, sagte sie und fügte hinzu: »Und seid unbesorgt. Ihr werdet alles in bester Ordnung zurückbekommen.«
    Sie nahm den ledernen Umschlag an sich, wobei sie eine Gleichgültigkeit an den Tag zu legen versuchte, die sie nicht im Entferntesten empfand, und nachdem sie zum Abschied mit dem Kopf genickt hatte, verließ sie gemessenen Schrittes die Bibliothek. Draußen auf dem Korridor beschleunigte sie ihre Schritte und ging in ihr Studierzimmer. Vom Fenster aus sah sie die Bediensteten des Klosters, die Äpfel pflückten und sie in große Weidenkörbe füllten.
    Sie öffnete die Mappe mit der Aufschrift Monasterii Noave Monachae – Annus Domini MCDLXXXIII und wanderte mit dem Finger nervös über die Zeilen, in denen ordentlich der Name jeder Novizin festgehalten war, die in jenem Jahr ins Kloster gekommen war. Neben jedem Namen war das Datum der Ankunft vermerkt, Ort und Tag der Geburt, wenn diese bekannt waren, sowie die Namen der nächsten Verwandten, wenn es welche gab. In einigen Fällen hatte man sogar die Existenz körperlicher Gebrechen festgehalten, wie das Fehlen eines Fingers oder eine Narbe.
    Sie überflog rasch die Namen und verweilte bei denen, die mit »María« begannen, ein Name, der sehr häufig vorkam. Die schriftlichen Angaben bewiesen ganz eindeutig, dass keiner von ihnen der ihre war. Ihr Mut sank ebenso rasch, wie ihre Aufregung wuchs. Sie legte die Mappe beiseite und nahm sich die andere vor. Juli, August, September… da war es! María Esperanza. Sie betrachtete ihren mit schwarzer Tinte in wunderbarer Kursivschrift kalligraphierten Namen und freute sich über ihre Entdeckung. Doch neben dem Namen war nur das Datum ihrer Ankunft in Madrigal vermerkt, am zehnten Tag des Monats September 1483, sowie zwei Initialen, I. R. »Iussu Reginae«, im Auftrag der Königin. Wütend stieß sie die Mappen von sich, und ihr Inhalt breitete sich auf dem Boden aus.
    »Jetzt bin ich so weit wie am Anfang!«, rief sie laut. »Ich habe nur einen Taufnamen, den Tag der Ankunft im Kloster und die Gewissheit, dass ich auf Anordnung der Königin hier bin.«
    Aber das hat mir ja bereits Doña Elvira erzählt, dachte sie. Vielleicht hatte ihre Lehrerin Recht gehabt. Sie sollte nicht nach etwas suchen, das sie vielleicht niemals finden würde. Sie lächelte traurig. Wenn in diesem Moment eine der Schwestern die Studierstube beträte und ihre stets so zurückhaltende und schweigsame Äbtissin dabei anträfe, wie sie Selbstgespräche führte, all diese Schriftstücke auf dem Fußboden verteilt, müsste sie zu Recht denken, dass sie verrückt geworden sei. Sie sammelte die Blätter auf und ordnete sie wieder, um sie in demselben Zustand in die Bibliothek zurückzubringen, in dem sie ihr anvertraut worden waren.
    Diese ganze Angelegenheit wühlte sie zu sehr auf. Seit Doña Elvira ihr vor ihrem Tod das Sendschreiben des Papstes überreicht hatte, war nichts mehr wie vorher. Sie konnte sich nicht den Aufgaben widmen, die ihr Amt mit sich brachte, sie schenkte den tausend Dingen, die sie zuvor beschäftigt hatten, nicht die nötige Aufmerksamkeit und es gelang ihr nicht, sich auf das Gebet zu konzentrieren. Ihr Geist kam nicht zur Ruhe. Die Glocke rief zum Angelus. Als sie gerade das Zimmer verlassen wollte, fiel ihr Blick auf den kleinen Lederumschlag. Der Knoten des Bändchens war fest geknüpft und im Laufe der Jahre war das Leder spröde geworden. Sie überlegte nicht lange und durchschnitt es mit einem kleinen Messerchen.
    Das Erste, was ihr beim Öffnen ins Auge fiel, war der gute Zustand, in dem sich die Blätter befanden; zweifellos hatte das dicke Leder sie vor der Feuchtigkeit und der Zeit bewahrt. Auf dem ersten Blatt stand lediglich ein Name: Johanna Abatissa. Sie setzte sich und begann das zweite Blatt zu lesen.
    »Gott hat es so gewollt, dass ich Äbtissin dieses Klosters wurde, und ich möchte von den Dingen berichten, die

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