Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
Vom Netzwerk:
Augenblick zögerte, seine beiden kleinen unehelichen Töchter zu opfern, so als ob sie nie existiert hätten, dachte sie verbittert.
    Sie sah zu Doña Elvira und war erstaunt, ihrem besorgten Blick zu begegnen. Sie war so in die Betrachtung des Porträts vertieft gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, dass die Vorleserin mit ihrer Lesung geendet hatte und die meisten Nonnen bereits einen gut Teil ihrer Ration Linsen mit Bohnen sowie das Stück Brot, das jeder von ihnen zum Gedenken an das letzte Abendmahl serviert wurde, verzehrt hatten. Sie begann hastig zu essen und vergaß für einen Moment ihre Sorgen.
    Wenig später stand Doña Elvira auf und erteilte den Segen. Die Nonnen verließen schweigend den Saal, um sich in ihre Zellen zu begeben. María ging vor ihrer Lehrerin, die den Abschluss bildete, aber an der Tür blieb sie stehen, um sie vorbeizulassen.
    »Tochter«, sagte die Greisin zu ihr gewandt, »ich muss mich ausruhen. Die vergangenen Tage waren sehr aufregend, und die Reise hat mir das bisschen Kraft geraubt, das mir noch geblieben war. Begleite mich und stütze eine arme alte Frau, damit sie einigermaßen würdevoll ihre Zelle erreichen kann.«
    Rasch fasste María sie beim Arm. Es erfüllte sie mit großer Zärtlichkeit, ihre Lehrerin so schwach und hilflos zu sehen, und sie legte ihr ganze Zuneigung in diese Geste, während sie langsam durch die Gänge wandelten, bis sie die Zelle erreichten.
    »Bring mich bis ans Bett, Tochter«, bat Doña Elvira lächelnd, als wollte sie sich dafür entschuldigen, Anlass zu solcher Sorge zu geben, »alleine werde ich es nicht schaffen, fürchte ich…«
    »Ehrwürdige Mutter, Ihr wirkt sehr schwach. Kann ich etwas für Euch tun?«
    »Du kannst nichts tun, meine Liebe«, antwortete Doña Elvira sanft, während sie sich zu Bett bringen und mit einer Decke zudecken ließ. »Gott hat mich viele Jahre auf dieser Welt wandeln lassen, und nun ist die Stunde gekommen, vor ihn zu treten. Ich hoffe, er wird nicht zu streng über mich richten. Ich habe versucht, ihm so gut wie möglich zu dienen…«
    »Man muss doch etwas tun können«, beharrte María besorgt. »Ich werde die Kräuterschwester rufen. Sie weiß viel über Stärkungsmittel und hat eine gesegnete Hand, wenn es um Arzneien geht. Sie bereitet sie selbst aus den Pflanzen, die sie im Garten heranzieht und…«
    »Ruf sie nicht«, unterbrach die Alte sie. »Gegen das, was mir fehlt, ist kein Kraut gewachsen, und ich will nicht ihre Zeit vergeuden. Außerdem« – sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht – »hasse ich Arzneitränke! Ich habe sie nie ausstehen können. Ich will mit dir sprechen, bevor ich nicht mehr dazu in der Lage bin. Du machst mir große Sorgen. In gewisser Weise bist du die Tochter, die ich niemals hatte. Ich habe dich umsorgt, habe dir beigebracht, was ich wusste und dich auf das Ordensleben vorbereitet…«
    »Ihr seid die wunderbarste Lehrerin gewesen, die eine Schülerin haben kann«, unterbrach María sie mit einem Kloß im Hals.
    Doña Elvira lächelte immer kraftloser.
    »Keine Schmeicheleien, María Esperanza, und unterbrich mich nicht, denn sonst kommen wir nie zu einem Ende und du wirst dich um meine armen Gebeine kümmern müssen, ohne zu wissen, was ich dir sagen wollte. Du musst mir versprechen, nicht länger über die Sache nachzugrübeln, die mich hierher geführt hat, wo ich ohne jeden Zweifel bis zum Tag des Jüngsten Gerichts bleiben werde. Versprich mir, dass du zu niemandem ein Wort sagen wirst und niemand im Kloster von deiner und deiner Schwester Herkunft erfahren wird.«
    María versprach ihr, worum sie bat, um sie zu beruhigen. Doña Elvira sprach mit so leiser Stimme weiter, dass sie sich vorbeugen musste, um ihre Worte zu verstehen.
    »Versprich mir außerdem, dass du nichts unternehmen wirst, um an die Vergangenheit zu rühren. Dein Platz ist bei uns. An dem Tag, als du die ewigen Gelübde ablegtest, hast du deiner Vergangenheit entsagt, und so soll es bleiben…«
    María schwieg. Wie sollte sie so etwas versprechen, wenn sie sich vor wenigen Tagen erst geschworen hatte, ihre Herkunft ausfindig zu machen und etwas über ihre Mutter zu erfahren? Sie konnte es nicht.
    »María!« Doña Elvira war kaum noch zu verstehen. »Versprich es mir… bitte… ich will nicht, dass du leidest, und…«
    Ein trockener, rasselnder Husten unterbrach die Worte der Greisin. Ihre Augen verdrehten sich für einige Augenblicke und dicke Schweißperlen traten ihr auf die

Weitere Kostenlose Bücher