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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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kannte keine Grenzen und sowohl sie selbst als auch ihre Begleiter, Antoñino inbegriffen, waren überwältigt von so viel Liebenswürdigkeit. Die Äbtissin nahm die Einladung an, machte sich indes so ihre Gedanken darüber, dass sie als Ordensfrauen, die für gewöhnlich in Klausur lebten, sich nun an das weltliche Getriebe gewöhnen mussten, in dem sie sich für eine gewisse Zeit bewegen würden. Allerdings musste sie zugeben, dass sie Gefallen daran fand, von einer Gesellschaft anerkannt und umworben zu werden, die ihr bislang unbekannt gewesen war. Es war ein Vergnügen, sich mit kultivierten Menschen wie ihren Gastgebern zu unterhalten. Von ihnen erfuhr sie, dass Don Ferdinand mehrmals in der Grafschaft Biskaya geweilt hatte. Ihre Erwartungen stiegen, obgleich der König zugegebenermaßen auch andere Regionen im Norden besucht hatte. Auch in Begleitung von Antoñino durch die Straßen von Medina zu streifen, bereitete ihr Freude.
    Sie genossen das rege Treiben in den Straßen, in denen die Händler ihre Waren feilboten: Stoffe, Spezereien, Schmuck, Krüge, Kupferkessel, Stricke, Schuhe, Leder und vieles mehr. Sie hörten die Rufe der Scherenschleifer, die von Haus zu Haus zogen, und das fröhliche Lachen der Frauen, die am öffentlichen Brunnen miteinander schwatzten, während sie warteten, bis die Reihe an ihnen war, das Wasser in große Krüge zu schöpfen. María beobachtete die ausgelassenen Kinder und sah Antoñinos Begeisterung, der nicht von der Stelle zu bewegen war, als sie an einer Straßenecke auf ein Marionettentheater stießen. Der Knabe konnte sich nicht satt sehen an der Geschichte von der schönen Gräfin, die sich aus Liebe als Mann verkleidete und ihren Geliebten rettete; oder die von Beatriz, der Tochter Don Nuños, die von einem Sarazenen geraubt wurde und wundersamerweise von Tauben in der Luft gehalten wurde, als dieser sie, da er verfolgt wurde, einen Abgrund hinunterstürzte.
    María sog den Geruch jedes Viertels in sich ein, sie durchwanderte das Viertel der Schmiede, der Seiler, der Weber und das Judenviertel, das sein jüdisches Gepräge bewahrt hatte, obwohl aus der Synagoge die Kirche Santo Espirito geworden war. Es war eine Welt voller Leben, die sie unwiderstehlich anzog und für eine Weile vergessen ließ, dass sie eine Nonne war, die früher oder später in die Stille des Klosters zurückkehren würde.
    Durch die Vermittlung Hauptmann Salazars konnte Inés Kontakt zu dem Freund ihres Vaters aufnehmen, Don Alvaro Fernández, der sich so freute, sie zu sehen, als handelte es sich um seine eigene Tochter. Er kam sie jeden Tag besuchen, und aus seinen Erzählungen erfuhr María Genaueres über die Flucht des Mädchens und die Macht der Leguizamóns.
    »Tristán de Leguizamón«, erklärte er ihr eines Tages, »der einst den Beinamen der Junge trug und nun der Alte gerufen wird, um ihn von seinem Sohn zu unterscheiden, ist ein ehrgeiziger Mann, der nicht zögern würde, seine eigene Mutter zu verkaufen, wenn er dadurch seine Ziele erreichte.«
    »So furchtbar ist er?« María vermochte sich nicht vorzustellen, dass jemand seine Mutter verkaufen könnte, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
    »Beim Kreuze Christi, das ist er!«, antwortete der Mann und stampfte mit dem Fuß auf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Vor vielen Jahren verwies ihn der Rat von Bilbao wegen seiner zahllosen Schandtaten und Morde der Stadt.«
    »Und wo lebt er jetzt?«
    »In Bilbao.«
    »Aber sagtet Ihr nicht gerade, dass er verbannt wurde?«
    »Ja, doch er kehrte zurück. Vor nunmehr über zwanzig Jahren erhielt besagter Tristán, der ein Page Don Ferdinands war, einen königlichen Freibrief, der ihm die Rückkehr ermöglichte. Seit damals«, fuhr Don Alvaro fort, »ist sein Einfluss noch gewachsen und er ist einer der mächtigsten Männer. Er besitzt mehrere Wohntürme und Häuser in der Stadt und im Umland, eine Schiffsflotte, die Handel mit England und Flandern betreibt, des Weiteren eine Vielzahl von Schmieden, Feldern, Apfelpflanzungen und Viehherden. Außerdem haben er und seine Gefolgsleute die öffentlichen Ämter an sich gerissen.«
    »Aber wenn er so viel besitzt, weshalb dringt er dann auf eine Heirat seines Sohnes mit Inés?« María war neugierig und gleichzeitig fasziniert von dieser Persönlichkeit.
    »Weil das Mädchen ebenfalls Eigentum besitzt, welches es von seinem Vater erbte«, erklärte ihr Don Alvaro. »Ihr werdet mir Recht geben: Je größer der Reichtum, desto größer der

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