Die Äbtissin
Zeigefinger trug sie keinen Schmuck. Ihr Auftreten war würdevoll und elegant, wie es sich für die Tochter der María Nicolau geziemte. Diese war die Tochter eines Soldaten König Ferdinands gewesen, die in Tarregas eine Affäre mit dem König gehabt hatte; ihre Tochter Johanna war am kastilischen Hof wie eine richtige Prinzessin erzogen worden.
»Mein Gemahl hätte mich gerne begleitet, aber seine Verpflichtungen halten ihn zurück«, entschuldigte sie sich. »In letzter Zeit sehe ich ihn seltener, als mir lieb ist.«
»Natürlich…«, sagte María, nur um etwas zu sagen. »Er hat ein wichtiges Amt inne, das große Verantwortung mit sich bringt.«
»Das ist wahr«, fuhr Johanna fort, und es klang, als spräche sie zu sich selbst, »aber ich würde mir wünschen, dass er mehr Zeit an meiner Seite verbrächte. Er ist nicht mehr jung, und ich fürchte um seine Gesundheit. Er hat mir aufgetragen, Euch dafür zu danken, dass Ihr Verbindung zu ihm aufgenommen habt, und schickt der Mutter Oberin seine besten Wünsche. Ich weiß nicht, ob Euch bekannt ist, dass ihr Vater der beste Freund meines Schwiegervaters war und ihm einmal das Leben gerettet hat.«
María hatte es nicht gewusst und es interessierte sie auch nicht. Das Einzige, was sie interessierte, war, mit Johanna zu sprechen, etwas über ihr Leben und ihre Kindheit zu erfahren. Sie musste Einblick in die Erlebnisse und Erinnerungen erhalten, die auch die ihren hätten sein können.
»Er trägt mir auf, Euch zu sagen, dass Ihr nicht zögern sollt, ihn um alles zu bitten, was Ihr benötigen mögt. Es wird ihm eine Freude sein, Euch zu helfen.«
»Richtet Eurem Gatten aus, Señora, dass ich ihm für sein Anerbieten danke, doch ich glaube nicht, dass wir ihn bemühen müssen. Die Reise ist bislang ohne Zwischenfälle verlaufen. Don Luis de Mendoza hat uns Hauptmann Lope de Salazar zu unserem Schutz mitgegeben, und wir brauchen nicht viel.«
Sie schwiegen. Es schien, als hätten sie sich nicht mehr viel zu sagen, doch Johanna zeigte keine Eile, sich zu verabschieden.
»Wie ist das Leben in einem Kloster?«
Die Frage überraschte María.
»Besser als das so vieler anderer in Gottes weiter Welt, nehme ich an«, war die einzige Antwort, die ihr einfiel.
»Wisst Ihr, es gab eine Zeit, in der ich den Schleier nehmen wollte.«
»Und weshalb habt Ihr es nicht getan?«
»Weil mein Vater anders entschieden hat.«
»Ihr seid eine Tochter Don Ferdinands von Aragón…«, flüsterte María, und ihre Stimme zitterte ein wenig.
»So ist es, eine Tochter des Königs.« In ihrem Ton schwang eine gewisse Traurigkeit mit. »Allerdings keine, die durch den Prachteingang kam, doch ich habe keinen Grund zur Klage. Der König hat vom Tag meiner Geburt an für mich gesorgt. Er erkannte mich an und ließ mich gemeinsam mit seinen legitimen Kindern, den Infanten, erziehen. Er verheiratete mich mit Don Bernardino, der mir stets mit Liebe und Achtung begegnete. Und dennoch…«
»Und dennoch?«
»Ihr habt keine Vorstellung, wie schwierig es war, bei Hofe aufzuwachsen.« Sie seufzte. »Mit den legitimen Kindern, der legitimen Gattin. Ich habe mich oft fremd gefühlt und mir gewünscht, die Tochter einfacher Bauern zu sein.«
»Hat die Königin Euch schlecht behandelt?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Sie war stets gut zu mir und meinem vier Jahre älteren Halbbruder Alfons. Er ist ebenfalls…« – Sie zögerte, das Wort auszusprechen – »… er ist ebenfalls ein Bastard des Königs. Sie hat nie ein Wort darüber verloren, noch hat sie uns durch Worte oder Taten beleidigt. Und doch… oft bemerkte ich, wie sie uns mit einem Blick ansah…«
»… so kalt wie Eiszapfen, die an kalten Wintertagen von den Dächern herabhängen«, sprach María. »Einem Blick ohne jede Wärme, leer und doch durchdringend.«
Johanna sah sie erstaunt an. »Woher wisst Ihr?«
»Ach, gebt nichts auf meine Worte«, sagte sie und versuchte, um eine Antwort herumzukommen. »Meine Lehrerinnen haben immer gesagt, dass ich viel Phantasie besitze. Es ist nicht schwer, sich eine Vorstellung von Eurer Situation bei Hofe zu machen.«
»Ihr seid Äbtissin eines Klosters… Ich erinnere mich nicht an den Namen, aber ich weiß, dass die Oberin ihn in ihrem Brief erwähnte.«
»Nuestra Señora de Gracia in Madrigal.«
»In Madrigal befindet sich der ehemalige Palast«, erinnerte sich Johanna.
»So ist es. Der Palast König Johanns, in dem Doña Isabella geboren wurde, liegt nicht weit von unserem Kloster
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