Die Äbtissin
nächsten Morgen brachen sie wieder auf. Der Weg wurde immer mühsamer und schwieriger, je näher sie dem Gebirge kamen. Aber die Schönheit ringsum, der Duft der Pflanzen und des taunassen Grases, die mächtigen Bäume zu beiden Seiten des Weges, deren Kronen sich über ihren Köpfen vereinten, entschädigten für die Mühe. Sie rumpelten gerade nach einem langen Anstieg eine sanfte Steigung hinunter und sahen, dass der nächste Aufstieg noch mühsamer sein würde, als Don Gonzalo sein Pferd anhielt.
»Fahrt schon einmal voran, ich bin gleich wieder bei Euch…«
»Wohin wollt Ihr um Gottes willen?«, kreischte Joaquina.
»Es ist nur für einen Augenblick«, erwiderte der Hauptmann. »Der Körper hat Bedürfnisse, die nicht warten können.«
»Reißt Euch zusammen wie jedermann!«, zeterte Joaquina erneut.
»Das würde ich liebend gern«, antwortete der Hauptmann, während er auf die Büsche zuhielt, »doch ich fürchte, ich kann nicht. Fahrt nur weiter, ich bin gleich wieder bei Euch.«
»Und was ist, wenn wir von Räubern überfallen werden oder wenn ein Drache erscheint?«, fragte die Nonne ängstlich, während Don Gonzalo auf einem Pfad im Wald verschwand. »Dass noch nie einer gesehen wurde, heißt nicht, dass es sie nicht gibt…«
»Aber Joaquina! Es steht nichts zu befürchten«, beruhigte María sie. »Alles ist friedlich in dieser schönen Gegend Gottes.«
Kaum hatte sie das gesagt, als drei Männer auf einem schmalen Steig auftauchten, der halb von Zweigen verborgen war. Mit ihren Umhängen und Hüten sahen sie aus wie die Pilger, die sie in Burgos gesehen hatten.
»Halt!«, schrie der Größte von ihnen. »Haltet das Pferd an und steigt vom Wagen!«
Die drei Frauen und der Knabe waren wie versteinert, während der Karren weiterrumpelte.
»Habt ihr nicht gehört?«, brüllte der Mann. »Ihr sollt verdammt noch einmal den Wagen anhalten, habe ich gesagt!«
Sie taten wie geheißen, blieben jedoch reglos auf ihren Plätzen sitzen.
»Steigt ab oder ich schwöre, dass es Euch schlecht ergehen wird, wenn ich Gebrauch von diesem Geschenk mache, das ich einem Mauren abnahm!«, drohte der Mann.
Er zog einen Krummsäbel unter seinem Umhang hervor und schwenkte ihn vor ihren entsetzten Augen. Früher einmal musste es eine wundervolle Waffe gewesen sein, doch nun begann sie Rost anzusetzen, und von ihrem einstigen Glanz war nur die bedrohlich geschwungene Klinge übrig geblieben. Einen Augenblick später standen die vier auf dem Weg, während der Kerl unaufhörlich mit der Waffe umherfuchtelte.
»Seht nach, was sie dabei haben!«, rief er seinen Spießgesellen zu.
»Ihr werdet nichts Wertvolles finden«, sagte María. »Wir sind…«
Er ließ sie den Satz nicht zu Ende sprechen, sondern setzte ihr die Spitze des Krummsäbels auf die Brust.
»Wer hat dich gefragt? Du sprichst nur, wenn ich es dir sage, verstanden? Anderenfalls wirst du gleich ein hübsches Löchlein hier haben, du liederliches Weibsstück!«
Die anderen beiden Männer waren vollauf damit beschäftigt, ihre wenigen Habseligkeiten vom Wagen zu werfen.
»Hauptmann!«, rief einer von ihnen. »Da ist nichts! Nur ein paar Kleider, und die sind nicht einmal neu.«
»Kein Gold oder Silber?«, fragte der, den sie Hauptmann nannten.
»Nichts.«
Die beiden Kerle kamen zu ihrem Anführer getrottet.
In ihren Gesichtern stand die Enttäuschung über die entgangene Beute. Der Anführer zögerte, bevor er wieder den Mund aufmachte.
»Ihr habt also nichts Wertvolles dabei, ja?«, sagte er zu María gewandt.
»Hättet Ihr mich aussprechen lassen«, entgegnete diese so ruhig sie konnte, »hätte ich Euch gesagt, dass wir nichts Wertvolles besitzen. Wir sind nur drei Ordensfrauen und ein Knabe, die auf dem Weg nach Norden sind.«
Wo war Hauptmann Salazar? Warum kam er nicht endlich? Der Mann trat zu Inés und hob mit der Spitze des Krummsäbels ihren Habit an.
»So so, Nonnen. Ich traue den Nonnen nicht. Bestimmt habt ihr Gold und Münzen unter euren Gewändern versteckt. Ich denke, wir werden selbst suchen müssen. Ihr seid zu dritt und wir auch«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf seine Gefährten. »Ihr versteht, Freunde?«
Die Räuber begannen zu lachen, und die Frauen blickten sich entsetzt an. Antoñino stürzte sich auf den Anführer, der überrascht taumelte und beinahe hingefallen wäre. Als er das Gleichgewicht wieder fand, packte er den Jungen mit einer Hand beim Hemd, schlug ihm mit der Faust mitten ins Gesicht und
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