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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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er den Sterbenden bei den Füßen packen wollte, hielt María ihn zurück.
    »Wollt Ihr ihn hier zurücklassen?«, fragte sie. »Er ist noch nicht tot.«
    »Er wird es bald sein, und die Nacht steht bevor. Wir müssen weiter.«
    »Trotzdem«, beharrte sie, »können wir ihn nicht alleine hier zurücklassen. Er ist ein Kind Gottes, so groß und so zahlreich seine Vergehen auch gewesen sein mögen, und die Barmherzigkeit gebietet uns, dass wir uns seiner annehmen.«
    Sie sahen sich nach einem geschützten Ort um und fanden eine kleine Lichtung im Wald. Dorthin brachten sie den Wagen und den Verwundeten. Die Kälte begann ihnen in die Knochen zu kriechen und sie sammelten eifrig Holz, um ein Feuer zu machen. Es wurde eine sehr lange Nacht. Inés und Joaquina machten es sich im Wagen so bequem es möglich war, Don Gonzalo und Antoñino breiteten in der Nähe des Feuers ein paar Decken auf der Erde aus und rückten eng zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. María blieb bei dem Verwundeten sitzen, dessen Gesicht allmählich die fahle Blässe des Todes annahm. María hatte noch nie eine Nacht im Freien verbracht, und die nächtlichen Geräusche hätten sie in Angst und Schrecken versetzt, wäre sie nicht so damit beschäftigt gewesen, dem unbekannten Banditen zu helfen. Als es bereits zu dämmern begann und sie im Halbschlaf vor sich hin döste, beschlich sie ein eigentümliches Gefühl, und sie öffnete die Augen. Der Mann sah sie mit starrem Blick an. Sie glaubte, er sei tot, aber als sich seine Lippen bewegten und er ihr etwas zu sagen versuchte, merkte sie, dass noch Leben in ihm war.
    »Möchtest du etwas?«, fragte sie und beugte sich zu ihm hinunter.
    »Wer seid Ihr?«
    »Eine Nonne vom Orden der Augustinerinnen.«
    »Wer seid Ihr?«, fragte der Sterbende noch einmal.
    »Wie ich dir bereits sagte, eine Nonne, die in Begleitung zweier weiterer Ordensfrauen, eines Soldaten und jenes Knaben unterwegs ist, den du gestern kaltblütig niedergeschlagen hast.«
    »Ihr seid zurückgekommen, um Rache an mir zu nehmen.« Sein Blick spiegelte seine ganze Angst wider.
    »Wir haben beschlossen, bei dir zu bleiben, um dich in deinen letzten Momenten zu begleiten und dir dabei zu helfen, deinen Frieden zu machen.«
    Mit diesen Worten hielt ihm María das Kruzifix an die Lippen, doch der Mann wandte entsetzt den Kopf ab.
    »Möchtest du Gott nicht um die Rettung deiner gequälten Seele bitten? Wie heißt du?«
    Der Mann sah sie erneut an.
    »Ich bin Pedro de Lara, Soldat der Königin. Für sie habe ich in all diesen Jahren mein Leben riskiert. Ich habe ihr treu gedient und jeden ihrer Befehle befolgt. Ach, Doña Isabella!« Seine Stimme wurde seltsam weich. »Ihr seid eine ebenso grausame wie schöne Frau, die mich alle Höllenqualen durchleiden ließ. Ich liebe Euch, wie Euch sonst niemand liebt, doch Ihr erinnert Euch meiner nur, um Dinge von mir zu verlangen, die kein anderer tun würde, ohne Fragen zu stellen…«
    Pedro de Lara sprach zu María, als ob sie die Königin wäre. Sein glasiger Blick wanderte zurück in die Vergangenheit.
    »Für Euch hätte ich sogar den König ermordet. Ich hätte Euch von diesem Wüstling befreit, der so viel Leid über Euch gebracht hat, denn ich liebe Euch mehr als mein Leben. Und wie habt Ihr mir diese Liebe vergolten? Indem Ihr mich schmählich vergaßt. Ich musste mich auf den Straßen herumtreiben, um überleben zu können. Isabella…«
    »Die Königin ist vor fünf Jahren gestorben«, sagte María ungerührt. »Ich bin nur eine Nonne.«
    Der Mann schloss die Augen und öffnete sie gleich darauf wieder.
    »Wollt Ihr etwas für mich tun?«, fragte er mit schwacher Stimme.
    »Wenn es in meiner Macht steht. Ich verspreche es dir.«
    De Lara zog den Ring vom Finger und überreichte ihn ihr.
    »Sucht Martín Núñez und übergebt ihm diesen Ring. Sagt ihm…« – María musste sich hinabbeugen, um seine Worte verstehen zu können – »… sagt ihm, dass ich mein Wort gehalten habe. Ich habe nie etwas verraten…«
    María hatte Mitleid mit dem Sterbenden, der im Augenblick seines Todes von Visionen aus der Vergangenheit heimgesucht wurde. Sie versuchte ihn mit sanften Worten zu beruhigen, aber der Mann sah sie entsetzt an, als ob er von den Gespenstern seiner Vergangenheit umgeben sei.
    »Martín Núñez«, wiederholte er. »Vergesst es nicht. Sagt ihm auch, dass ich in der Hölle auf ihn warte.«
    Seine letzten Worte gingen in einem röchelnden Husten unter.
    »Doña María…« Der

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