Die Äbtissin
María sahen sich verzweifelt an.
»Den kennen wir nicht.« Als María sah, dass der Mann die Stirn runzelte, setzte sie rasch hinzu: »Deshalb sind wir zu Euch gekommen.«
»Ihr wollt etwas über ein Mädchen erfahren, von dem Ihr nicht einmal den Familiennamen wisst? Und bei dem Datum ihrer Taufe seid Ihr Euch auch nicht sicher?«
Für einen kurzen Moment hatte sie das wenig christliche Verlangen, den alten Priester an seiner Soutane zu packen, die ebenso alt und schmutzig war wie er, und ihn ordentlich durchzuschütteln.
»Uns wurde gesagt«, erklärte sie dann doch so ergeben, wie es ihr möglich war, »dass Ihr ein hervorragendes Gedächtnis besitzt. Vielleicht erinnert Ihr Euch, in jenem Jahr ein Mädchen auf den Namen María Esperanza getauft zu haben…« Sie schluckte, bevor sie weitersprach. »Die Tochter einer Frau aus dieser Stadt und König Ferdinands von Aragón.«
Don Martín sah sie aus großen Augen überrascht an, sagte aber nichts. María dachte, dass es sinnlos war, sich noch länger mit ihm zu unterhalten. Sie wollte Inés gerade ein Zeichen geben, um zu gehen, als der Pfarrer plötzlich die Sprache wieder fand.
»Toda de Larrea!« Der alte Priester versuchte sich zu erinnern. »Jetzt entsinne ich mich. Ein junges Mädchen aus gutem Hause, wohl erzogen und sehr fromm, aber zu fröhlich. Sie war stets am Lachen und scherzte unbefangen mit jedem jungen Mann, der sich ihr näherte…«
»Es ist keine Sünde, fröhlich zu sein«, flüsterte María verletzt.
»Nein, natürlich nicht, doch dieses Mädchen gab Anlass zu allerlei Gerede.«
»Habt Ihr sie gekannt?« Bei dieser Frage zitterte ihre Stimme. Sie wünschte, dass er mehr über die Frau erzählte, von der sie mit jeder Faser ihres Herzens hoffte, dass es sich um ihre Mutter handelte. In der Erinnerung dieses unangenehmen, aufdringlichen Alten sollte sie zu neuem Leben erwachen.
»Toda? Natürlich habe ich sie gekannt! Ich bin seit vierzig Jahren Pfarrer an dieser Kirche und kann behaupten, dass ich die meisten meiner Schäfchen getauft und beerdigt habe. Bilbao ist nicht mehr das, was es einmal war. Zu viele Leute, zu viele Fremde, die ihre schlechten Sitten und Gewohnheiten mit hierher gebracht haben. Aus dem noblen Biskayer ist eine verkommene Kreatur geworden, die nur Geld und Bettgeschichten im Kopf hat. Wusstet Ihr, dass nahezu die Hälfte der Einwohner dieser Stadt unehelich geboren ist?«
»Toda de Larrea…«, erinnerte ihn María mit gleichmütiger Stimme, trotz der Ungeduld, die sie empfand.
»Ach ja, Toda. Sie war hübsch, sehr hübsch, mit braunem Haar und großen braunen Augen, aber“ – seine Stimme wurde hart –, „aber sie hatte keine Skrupel, eine Tochter zur Welt zu bringen, ohne den heiligen Bund der Ehe eingegangen zu sein, und sie bezahlte für ihre Sünde.«
»Was ist geschehen?«
»Es wurde viel über diese Schwangerschaft geredet. Toda war einem Jungen versprochen, aus der Familie der… ach, ich erinnere mich nicht! Mein Gedächtnis lässt mich mehr und mehr im Stich. Jedenfalls fand die Hochzeit niemals statt«, fuhr er fort, »Offenbar unterhielt Toda ein Verhältnis zum Thronfolger, ein kurzes Verhältnis, denn Don Ferdinand weilte nur wenige Tage in dieser Gegend. Aus dieser Beziehung ging eine Tochter hervor. Jahre später verschwanden sie und das Mädchen, und man hörte nie wieder von ihnen. Es war eine sehr traurige Geschichte für ihre Familie. Todas Mutter starb wenig später – aus Leid und Kummer über ihr Los, wie es hieß.«
»Wo… wo lebt ihre Familie?« María konnte ihre Nervosität nicht verbergen.
»Gleich hier an der Plaza. Im Turm Etxeberri.«
Inés fuhr hoch, doch María achtete nicht darauf, weil sie weitere Fragen stellen wollte.
»Und lebt noch einer ihrer Angehörigen?«
»Ja, ein Sohn des alten Pedro de Larrea, ebenfalls Pedro mit Namen. Ein guter, gottesfürchtiger Mensch. Er fehlt keinen Sonntag in der heiligen Messe und zeigt sich sehr großzügig gegenüber der Kirche, obgleich sie nicht so viele Wohltäter hat, wie sie verdiente. Aber wenn die Leute die Kirche dann brauchen, kommen sie wieder angerannt und…«
Sie ließen ihn nicht ausreden. Nachdem sie sich für die Störung entschuldigt und ihm für seine Hilfe gedankt hatten, traten sie wieder auf den Kirchplatz hinaus. Die Sonne strahlte heller denn je, oder wenigstens kam es María so vor.
»Also gut!«, rief sie begeistert. »Nun müssen wir nur noch fragen, wo sich dieses Haus befindet. Wie, sagte er,
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